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Bedeutung hinzutritt, die über die directen Form- und Farbelw-
ziehungen hinausgreift. Zwar können Gegenstände von geringer oder
nebensächlicher ästhetischer Bedeutung, als wie ein Teppich, eini-
Zimmerwatid, durch Farben- und Formverhältnisse ihrer Fläche,
Kanten, Muster, directe Wohlgefälligkeit erlangen, beweisen aber
eben damit, dass sie zu keiner höhern und selbständigen ästheti-
schen Bedeutung erhoben werden können, wie gering und niedrig
die ästhetische Leistung dieser Verhältnisse ist; auch sieht man
selbst wohl an solchen Gegenständen gern Verzierungen in Pflan-
zen- und Thierformen angebracht, welche durch Erinnerung ihrer
Bedeutung den Eindruck associativ mitbestimmen. ln eigent-
lichen Kunstwerken endlich kann man der directen Wohlgefiillig-
keit gegenüber der höheren, welche aus dem angcknüpften Sinne
der Bedeutung erwächst, überhaupt keine Bedeutung mehr hei-
legen.
In der That, so wohlgefällig die Symmetrie im Kaleidoskop
erscheinen mag, wird sie doch weder in einem Landschafts- noch
historischen Bilde vertragen, weil sie zur Bedeutung der darge-
stellten Gegenstände nicht passt; wogegen die grössten Unregel-
inässigkeiten, die uns abgesehen von ihrer Bedeutung nur gleich-
gültig oder gar missfällig erscheinen könnten, in Kunstwerken
durch die angeknüpfte Bedeutung Interesse erwecken und wohl-
gefällig werden können. Eben so bestimmt sich das Colorit tlPS
Bildes vielmehr durch die Foderungen der Bedeutung als die Be-
geln derFarbenharmonie; denn so gut auch Blau oder Grün zu
Roth ausserhalb eines Bildes stehen mag, kann man doch zum
Both der Wange das Gesicht nicht blau oder grün malen.
Am häufigsten ist von schönen reinen Verhältnissen eines
Bauwerkes, schönen Formen und Verhältnissen einer Menschen-
gestalt, überhaupt also in der unorganischen und organischen Ba u-
kun st die Rede, und nirgends häufiger als hier wird das Gefallen von
Dimensions- und Formverhältnissen rücksichtslos auf angeknüpfte
Bedeutung abhängig gemacht. Aber der Thurm und Tempel fodern
andre Verhältnisse als derPalast und das Wohnhaus; das Weib, das
Kind andre als der Mann, der Erwachsene; Jupiter und Hercules
andre als Apoll und Bacchus. Ueberall also müssen sich die Ver-
hältnisse nach Bestimmung des Baumaterials, nach Geschlecht.
Alter und Charakter der Individuen ändern, um als wohlgefällig
oder schön zu gelten. Sie erscheinen überall nur wohlgefällig,