Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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auch der Einfluss der Musik darauf wechseln, wie denn z. B. das 
Gefühl der Liebe ein sanftes oder feuriges sein, ja selbst stürmisch 
werden, das heisst zum höchsten Grade der Erregtheit sich stei- 
gern kann, der Zorn ein stiller oder höchst aufgeregter sein kann, 
woraus dann wieder erhellt, dass man es einer Musik nicht mit 
Bestimmtheit abhören kann, ob sie Liebe oder Zorn ausdrücken 
will, wenn sie überhaupt etwas ausdrücken will. 
Inzwischen kann nicht jedes Gefühl jeden Stimmungseharak- 
ter gleich leicht annehmen, und manches Gefühl manchen Charak- 
gar nicht; z. B. das Gefühl der Hasses, der Furcht nicht den der 
Heiterkeit, Liebliehkeit, das der Wehmuth nicht den der starken 
Aufgeregtheit; und wenn Liebe zugestandenermassen im Zustande 
höchster Aufgeregtheit, Zornals stiller Grimm auftreten kann, wird 
es immerhinnur ausnahmsweise sein. Also kann auch nicht jede 
Musik von einem bestimmten Stimmungscharakter zu jedem Ge- 
fühle gleich gut und gleich oft passen. Melodieen für Lieder, 
welche Liebe, lslotlhung, Sehnsucht, Wehmuth ausdrücken, mögen 
sich, als gleiehlpassend zum einen wie zum andern Gefühle, leicht 
verwechseln lassen, aber sie werden sich nicht wohl mit Melodieen 
von Liedern verwechseln lassen, welche Zorn, Hass, Rache, Wuth 
ausdrücken, weil sich der Stimmungscharakter der beiderlei Ge- 
fühle nicht oder nur ausnahmsweise verwechselt. Auch wird bei 
den Gefühlen von wechselndem Stimmungscharakter doch nicht 
jeder Charakter oder jede Modilication desselben ästhetisch gleich 
vortheilhaft sein, also in der Kunst auch aus diesem Gesichts- 
puncte eine Wahl stattfinden können. Kurz durch Vermittelung 
der musikalisch ausdrückbaren Stimmungen, die in bestimmtere 
Gefühle eingehen, werden doch auch diese einem mehr oder we- 
niger passenden Ausdruck durch die Musik innerhalb gewisser, 
freilich sehr unbestimmt bleibender, Gränzen zugänglich sein. 
Bei Melodieen von Liedern, welche ein bestimmtes Gefühl 
der Liebe, Sehnsucht u. s. w. ausdrücken, liegt nun auch ein In-- 
tcresse darin, den Charakter der Musik dazu noch so adäquat als 
möglich zu seinem Stimmungscharakter und hiemit zum Gefühle 
selbst zu halten, und wird man fragen können, ob nicht der Cha- 
rakter verfehlt ist. Es ist in dieser Beziehung mit der Melodie des 
Liedes wie mit dem Versmass desselben, was sich auch für Lieder 
von verschiedenem Inhalt und doch nicht von jedem Inhalt verwech- 
seln lässt. Hingegen bei selbständigen Musikstücken, als wie S0-
	        
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