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Aufmerksamkeit nicht zu concentrircn wissen, liessen sich viel-
leicht an Blindgebornen, die erst erwachsen operirt worden sind,
anstellen. Werden diese den Ausdruck der Fröhlichkeit, des
Schmerzes, der Liebe und des Zornes an einem Gesichte sofort
unterscheiden können, nachdem die Staarbrille sie in den Stand
gesetzt, überhaupt etwas deutlich zu unterscheiden? Aber wahr-
scheinlich werden sie Anfangs überhaupt ein Gesicht als solches
nicht erkennen, und auch hieraus nichts Sicheres zu schliessen
sein. Und gesetzt auch, das Kind hätte ein instinctives Wohl-
gefallen am freundlichen Gesichts, so könnte dieser lnstinet bei
einem Erwa chsenen, der überhaupt von Kindheit an nichts zu
Gesicht bekommen, um so mehr verkümmert sein, als das Tast-
gefühl bei ihm die Rolle des Gesichtes übernommen. ln der That
sind blindgeborne Menschen nach der Operationso ganz desorien-
tirt im Reiche des Sichtbaren, dass sie Anfangs die Augen schlics-
sen, um sich zurecht zu finden.
Nun legt allerdings der Umstand, dass jedenfalls eine ange-
borene Einrichtung besteht, unsre eigenen Gemüthsbeirvegungen
vielmehr durch diese als jene Mienen, Geberden, Töne acti v aus-
zudrücken, den Gedanken nahe, dass ihr eine eben so angeborne
Einrichtung entspreche, diesen Ausdruck auch Seitens Anderer
zu verstehen, wenn es doch einmal instinctive Erkenntnisse
giebt; ja was die Locktöne der 'l'hierc laetrifft, so ist hieran gar
nicht zu zweifeln; nur fragt sich, wie weit diess zu verallgemei-
nern. Auch lässt sich eine lliatsache geltend machen, welche be-
weist, dass die instinctive Associirung des eigenen Seelenzustan-
des mit einem zugehörigen äussern Ausdruck immerhin etwas viel
Sichreres und Bestimmteres ist, als die Erkenntniss eines fremden
aus solchem. Man'kann nämlich durch eigene Beobachtung fin-
den, dass das Nachmachen der körperlichen Aeusserung eines
fremden Seelenzustandes diesen viel besser kennen lehrt als das
blossc Sehen dieser Aeusserung, indem sich ein Abklang des
fremden Seelenzustandes dann ih umgekehrter Richtung daran
associirt; und obwohl diese Thatsache nicht allgemein bekannt
ist, scheint sie doch allgemein gültig zu sein. So wenn ich hinter
jemand hergehe, den ich nicht kenne, und seinen Gang und sein
Behaben möglichst genau nachahme, wird mir dabei in seltsamer
Weise ganz so zu Muthe, wie ich meine, dass der Person selbst
zu Muthe sein müsse; ja einem Frauenzimmer naehzutrippeln oder