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Wäre das Princip in seiner Allgemeinheit richtig, so hätte
Gornelius sehr übel gethan , in seinem Nibelungencyclus den Sig-
fried vom Spiess des Hagen durch- und durchrennen zu lassen.
Nur das Ausholen mit dem Spiesse wäre danach gestattet gewesen;
wogegen der Spiess im Bilde, um für die Phantasie gar nichts
mehr übrig zu lassen, sogar den Weg durch den ganzen Körper
schon zurückgelegt hat und mit der Spitze aus der Brust hervor-
ragt. Ei, sagt man, damit ist die Phantasie noch nicht fertig, denn
die ganze Vergangenheit und Folge des Gedichtes wird durch die
Phantasie bei diesem Anlass, worin sich Alles gipfelt, heraufbe-
schworen. Ganz recht, das ist es aber eben, was ich sage; das"-
selbe wird nämlich bei jedem Gipfelpuncte, in dem ein Künstler
seinen Gegenstand darstellt, der Fall sein; und der im Bilde ganz
durchgerannte Sigfried ist in dieser Hinsicht wirksamer, als der
erst von der Phantasie zu durchrennende.
Wohl kann es vorkommen, dass man die Unbestimmtheit der
anschaulichen Vorstellung, welche ein Gedicht für sich übrig lässt,
der Bestimmtheit, in welcher das Bild sie zu lixiren versucht, noch
verzieht. Nicht leicht wird eine bildliche Darstellung von Mignon,
Gretchen, Lotte, Ottilie, Clärchen es jemand zu Danke machen;
nur hängt das nicht daran, dass der Maler die Phantasie um ihre
Leistung verkürzte, sondern dass er sie nicht befriedigt, indem
er dazu so bedeutend als der Dichter und es dazu in entsprechen-
der Richtung sein müsste. Das trifft sich nicht leicht. Wir möch-
ten die Anknüpfungspuncte der ganzen tief innerlichen in indivi-
duellsten Zügen gehaltenen poetischen Schilderung jener Persönlich-
keiten im Bilde wiederfinden; aber es giebt sie nicht hinreichend
her oder giebt andre her, als wir suchen. Inzwischen fehlt es
nicht an poetischen Schilderungen, wo der Eindruck nur dadurch
gewinnen kann, dass der Maler die Unbestimmtheit, die der Dich:
ter übrig lässt, ausfüllt, wir dadurch vielmehr bereichert werden,
als verarmen. So kann man Tasso und Ariost leichter illustriren
als Göthe; denn bei jenen lässt sich schon viel mit im Allgemeinen
schönen Rittern und Damen ausrichten, weil das Gedicht selbst
nicht mehr hergiebt; bei diesem nicht.
In möglichst innige und lebendige Wechselwirkung tritt die
Poesie mit der Malerei in einer verachteten Kunst, der Bankei-
sängerei, indem die schriftliche Beigabe hier durch das lebendige
Wort vertreten, der sprachlieheEindruck durch Rhythmus und