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stellung durch einen Zusammenhang und Ablauf von Vorstellungen
knüpft, der sich nicht mit malen lässt, sich aus dem Gedichte für
den, dem es geläufig ist, an das Gemälde überträgt und in ein
Spiel dieserVorstellungen wieder auszuschlagen vermag; und zwar
ein poetisches Spiel, worin ein Vortheil solcher Motive vor denen
aus prosaischer Geschichte liegt. Verlangt man doch überhaupt
von einem Bilde, dass es einen poetischen Eindruck mache; Mo-
tive aus Dichtungen bringen solchen nicht freilich ganz aber halb
fertig in das Bild mit.
Auch lässt sich ein ähnliches Verhältniss als zwischen Poesie
und Malerei in dieser Hinsicht innerhalb der Poesie selbst wieder-
finden. Unter allen lyrischen Gedichten Göthe's giebt es wohl
keine, die uns ein lebendigeres Interesse abgewinnen und unser
Gefühl in solchem Grade erschütterten, als die Lieder von Gret-
chen, von Mignon, vom Harfner, überhaupt als die, die in seinen
Dramen und Romanen eingestreut sind. Eben so wohnt den-
jenigen Gedichten Schillers, die in seinen Dramen vorkommen, die
meiste lyrische Kraft bei, wie z. B. nDGP Eichwald hrauset, die
Wolken ziehna, nLebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triftena,
nEilende Wolken, Segler der Lüften. Ich erinnere mich eines Bo-
mans von Eichendorff, betitelt nAhnung und Gegenwarta, der, ob-
wohl nicht zu seinen besten Dichtungen gehörend, doch von einem
poetischen Hauche durchweht ist, und worin mehrere Lieder im
Zusammenhang mit derErzählung einen besondern lleiz empfangen
und geben.
Der Grund des Vortheils ist nach dem Vorigen leicht zu ver-
stehen. Das Lied, für sich selbst unfähig, Alles zusammenzu-
fassen, Was die in ihm waltende Empfindung motiviren und
unterstützen könnte, entäussert sich dessen an das grössere Ganze,
dem es einverleibt ist, und kann nun um so leichter sich begnügen,
blosidas darzubieten , woran sich die Empfindung am directesten
knüpft, worin sie sich so zu sagen am meisten verdichtet. Dabei
aber spielt der ganze Roman Wilhelm Nßster, der ganze Faust in
den Liedern Mignoifs und Gretchens unbewusst in diese Empfin-
dung mit hinein, und von dem ganzen Beichthum bedeutungs-
voller Beziehungen, die sich so hinein verweben, bietet uns das
Lied in seiner kleinen Schaale die goldne Frucht. Indem man Mig-
nons Lied liest, sieht man sie stehen, hört man sie singen, und ihr
vergangenes und künftiges Geschick sclrwelut traumhaft vorbei.