111-1
besondern Erklärung, wenn er eine Geburt Christi, eine Himmel-
fahrt, eine niederländische Schenkenscene, eine Landschaft sieht;
jeder weiss schon Alles, was dazu gehört sie zu verstehen, W0-
gegen viele Scenen aus der Profangeschichte und selbst manche
genrehafte Scenen noch der Erläuterung, mindestens Unterschrift
bedürfen. Was man triftig von solchenverlangen kann, ist nur,
dass sie doch schon ohne die zugefügte Erläuterung einen so weit
ansprechenden oder interessirenden Eindruck machen, um das
ergänzende Verständniss suchen zu lassen, so dass der Eindruck,
um den es zu thun ist, nicht ganz und gar erst durch die Erklärung
zu entstehen, sondern sich nur zu seiner vollen Leistung zu er-
füllen hat, um nicht der Ergänzung die Leistung des Ganzen zu-
zumuthen.
Wenn in einem Gemälde Luther vor den versammelten Für-
sten und Bischöfen steht, muss in den muthigen, ruhigen, gottver-
trauenden Zügen des einfachen kräftigen Mannes, gegenüber der
Pracht, dem Stolze, der Anmassung des versammelten Reichstages
auch für den schon etwas Anmuthendes, Erhebendes, zur weitern
Forschung, was alles diess bedeute , Anregendes liegen, der noch
nichts von dieser ganzen Geschichte wüsste. Wäre der Maler nicht
im Stande, dem Gemälde ohne das eine Wirkung zu verleihen,
welche uns das in unbestimmten Zügen ahnen lässt, was, be-
slimmter durch die hinzutretende Historie aufgefasst, uns ein
volles inneres Genüge gewährt, so wäre er entweder nicht für die
Aufgabe, oder die Aufgabe nicht für die Malerei geschaffen. Nur
abgemacht ist damit die Leistung des Bildes nicht. Vielmehr würde
ohne die hinzutretende Erklärung in der Unbestimmtheit und dem
Räthsel, wie Alles in dem Bilde zusammenhängt, an welchen Mo-
tiven die Bewegung, der Ausdruck hängt, dem Eindrucke mit dem
Zusammenschluss in einer einheitlichen Spitze auch die Kraft einer
solchen entgehen.
Nun kann die Poesie in verschiedener Weise mit der Malerei
und umgekehrt in erläaernde Beziehung treten. Einen Theil
ihrer wirksamsten Motive schöpfen ja die Maler geradezu aus Dich-
tungen, den Homerischen, Danteschen, Shakespeareschen, Göthi-
schen, und haben dann natürlich zum Verständniss ihrer Werke
auch die Kenntniss dieser Dichtungen vorauszusetzen. Zu den
wirkungsvollsten aber werden diese Motive dadurch, dass das
ganze Interesse, was die Dichtung an den Gegenstand der Dar-