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Gemälde mittelst Darstellung eines Momentes bietet, hinausgreift,
das Gemälde hinwiederum mit seiner räumlichen Ausbreitung
über den hindurchstreichenden zeitlichen Fluss, den die Poesie bie-
tet, hinausgreift, die Dichtung denselben Stoff seelisch vertieft,
von dem die Malerei die farbige Fläche giebt. Indem nun so beide
sich in demselben Vorstellungskreise begegnen, von den Puncten
der Begegnung aber auseinanderweichen, treten sie zugleich in das
Verhältniss der Verschwisterung und der Ergänzung zu einander,
und zwar nicht nur als Künste im Allgemeinen, sondern können
sich auch in einzelnen Leistungen zu wechselseitiger Verstärkung
und Ergänzung ihrer Wirkungen verbinden.
Sei z. B. die Schlachtscene eines Epos von einem Bilde be-
gleitet, so lässt sich die ganz unbestimmte mangelhafte Vor-
stellung, welche die sprachliche Schilderung der räumlichen Aus-
breitung der Schlacht zu erwecken vermag, durch das Bild
vervollständigen, verstärken, bereichern, oder umgekehrt die
malerische Schilderung einer Schlacht, die uns nach ihren Motiven
und ihrem historischen oder sagenhaften Zusammenhange unver-
ständlich sein möchte, durch eine hinzugefügte historische oder
epische Schilderung vervollständigen.
Hier und da findet man freilich die Behauptung aufgestellt,
dass jedes gute Bild aus sich selbst verstanden werden müsse,
ohne einer Erläuterung andersher zu bedürfen. Nichts untriftiger
aber als diese Behauptung. lm Gegentheil fodert jedes historische,
mythologische, religiöse, im Grunde jedes Bild überhaupt die Er-
gänzung durch Erkenntnisse, die nicht aus dem Bilde selbst zu
schöpfen sind, nicht nur um verstanden, sondern auch nach sei-
nem ganzen Werthe gewürdigt und nach seiner ganzen Schönheit
empfunden zu werden. Nur dass wir viele Erkenntnisse, die zum
Verständniss von Bildern nötliig sind, schon aus dem gewöhnlichen
Leben schöpfen, andre bei dem Bildungsgrade, der überhaupt die
Kunst dem Genusse zugänglich macht, voraussetzen können, ohne
sie erst durch eine dem Bilde besonderätflgegebene Erläuterung
zu wecken. Will man also von einem Verstehen der Bilder aus
oder durch sich selbst sprechen, so kann man nur in diesem Sinne
davon sprechen. Und so giebt es in der That unzählige Bilder,
die in diesem Sinne durch sich selbst unmittelbar verständlich
und geniessbar sind, andre aber auch, die es nicht sind, und
die man doch auch gelten lassen muss. Wer bedarf noch einer