Die
Aesthetik
VOll
Oben
und
VOII
Unten.
Die doppelte Weise, wie sich die menschliche Erkennlniss
zu begründen und zu entwickeln strebt, macht sich auch in der
Aesthetik, der Lehre vom Gefallen und Missfallen oder nach
Andern der Lehre vom Schönen, geltend. Man behandelt sie
nach einem kurzen Ausdrucke von Oben herab, indem man von
allgemeinsten Ideen und Begriffen ausgehend zum Einzelnen ab-
steigt, von Unten herauf, indem man vom Einzelnen zum Allge-
meinen aufsteigt. Dort ordnet man das ästhetische Erfahrungs-
gebiet einem, von obersten Gesichtspuncten aus construirten.
ideellen Rahmen nur ein und unter; hier baut man die ganze
Aesthetik auf Grund ästhetischer Thatsachen und Gesetze von
Unten an auf. Dort handelt es sich in erster und zugleich höch-
ster Instanz um die Ideen und Begriffe der Schönheit, der Kunst,
des Stils, um" ihre Stellung im System allgemeinster Begriffe, ins-
besondre ihre Beziehung zum Wahren und Guten; und gern steigt
man damit bis zum Absoluten, zum Göttlichen, den göttlichen
ldeen und der göttlichen Schöpferthätigkeit hinauf. Aus der rei-
nen Höhe solcher Allgemeinheiten steigt man dann in das irdisch-
empirische Gebiet des einzelnen, des zeitlich und örtlich Schönen
herab, und misst alles Einzelne am Massstabe des Allgemeinen.
Hie r geht man von Erfahrungen über das, was gefällt und miss-
fällt, aus, stützt hierauf alle Begriffe und Gesetze, die in der
Aesthctik Platz zu greifen haben, sucht sie unter Mitrücksicht auf
die allgemeinen Gesetze des Sollens, denen die des Gelallens
immer untergeordnet bleiben müssen, mehr und mehr zu verall-
gemeinern und dadurch zu einem System möglichst allgemeinster
Begriffe und Gesetze zu gelangen.
Fechner, Vorschule d. Aesthetik. 1