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licher Umrisse beruht. Wenn es immer vergeblich gewesen ist, für die
Schönheit eines solchen Umrisses eine wissenschaftlich berechenbare Be-
dingung zu finden, so rührt es daher, weil er nicht durch sich selbst, son-
dern durch Erinnerungen wirkt. Wer einmal eine theure Gestalt unter dem
Gewicht des Grams in wehmüthiger Ermattung sich beugen und sinken sah,
dem wird der Umriss solches Neigens und Beugcns , dem innerem Auge vor-
schwebend, die Ausdeutung unendlicher räumlicher Gestalten vorausbe-
stimmen, und er wird sich fruchtlos besinnen, wie so einfache Züge der
Zeichnung so innerliche Gefühle in ihm anregen konnten. In den Ver-
schlingungen der Klänge findet jeder sein Gemiith wieder und überschaut
seine Bewegungen. schwerlich geschähe diess, triebe nicht eine Vorbei-bei-
Stimmung unserer leiblichen Einrichtung uns an, durch Laute unsern Ge-
fühlen einen an sich unnützen äusseren Ausdruck zu geben. Mit den Klängen
und ihrem Wechsel verknüpft sich so die Erinnerung an Uebergänge in Grösse
und Art der Strebungen und Gefühle, durch die getrieben wir dieselben
Laute bilden würden. Ja selbst das Andenken an das Mass und die Anspan-
nung leiblicher Thätigkeit, in der Hervorbringung der Töne lehrt uns in die-
sen selbst und in ihrer Höhe und Tiefe eine Andeutung grösscrer oder ge-
ringerer Kraft, muthigcren oder nachlassenderen Strebens zu suchen. Die
räumlichen Verhältnisse der Baukunst, ihre strebenden Pfeiler und die breit-
gelagerten Lasten über ihnen würden uns nur halbverstandlich sein, wenn
wir nicht selbst eine bewegende Kraft besässen und in der Erinnerung an
gefühlte Lasten und Widerstände auch die Grösse, den Werth und das
Schlummernde Selbstgefühl jener Kräfte zu schätzen wüssten, die sich in dem
gegenseitigen Tragen und Getragenwerden des Bauwerkes aussprechen. So
bildet also das leibliche Leben, mit Nothwendigkeit Inneres durch äusscrc
Bestimmungen auszudrücken treibend, einen Uebergang zum Verständniss
sinnlicher Gestalten und Umrisse, und selbst das Sittliche, zunächst ein
Gleichgewicht der Strebungen, dann eine bestimmte Weise des Ablaufes
innerer Ereignisse bedingend, wird zuletzt in jenen sinnlichen Bildern Ver-
wandtes und Aehnliches auffinden können."
Genieinhin zwar macht man sich nicht klar, wie sehrldie
Abspiegelung unsers eigenen Wesens und Thuns in der objectiven
Welt zum Eindruck, den sie auf uns macht, beiträgt. Die Poesie
aber hilft hier gewissermassen nach, indem sie die Associationen,
von denen der Eindruck abhängt, zum Ausspruche bringt. So
sieht Maria die Wolken ziehn, nicht wie der Meteorolog eine gleich-
gültige Dunstmasse vom Winde getrieben sieht, sondern wie ein
Mensch den andern wandern, schiffen sieht, und wie sie selber
fortziehen möchte. Ja die Poesie findet einen Hauptvortheil darin,
das natürliche Object, Verhältniss, Geschehen geradezu in ein
menschliches zu übersetzen, um den associativen Eindruck davon
in kürzestem Wege möglichst kräftig zu wecken. Dass man den
Mond zwischen den Wolken durch sieht, ist hienach nicht so poe-