Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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associativen Eindruckes stimmt hiemit ganz zusammen. In der 
That die horizontale Lage begegnet uns beim schlafenden und 
todten Menschen, dem liegenden Baumstamm und der umgestürz- 
ten Säule, dem ruhigen Wasserspiegel, der Ebene, über die sich's 
leicht geht. Ueberhaupt alles, was ruhen will, legt sich, und nur 
auf das Horizontale legt man sich; wogegen der Mensch, der Baum, 
die Säule, die aufrecht stehen, sich noch gegen die Schwere zu 
wehren, ihr Gleichgewicht gegen dieselbe zu vertheidigen haben; 
die Welle braucht Kraft sich zu erheben und es braucht Kraft 
einen Berg zu ersteigen. All das wirkt mit dem directen Eindrucke 
dahin zusammen, der horizontalen Erstreckung den Verhältniss- 
niassigen Eindruck der Ruhe, der verticalen Erhebung den Ein- 
druck kraftvollen Strebens zu ertheilen. An Säulen trägt demge- 
mass die Cannelirung sehr wesentlich bei, den Eindruck des 
Aufstrebens zu unterstützen, er wiederholt sich an jeder Biefe, 
wogegen es absurd erscheinen würde, sie mit horizontalen Ringen 
oder Riefen zu umgeben, indess sie auf horizontalen Polstern 
ruhen dürfen. Womit ich zwar nicht sage, dass diess das einzige 
Motiv der Cannelirung sei; es kommt aber der directen Wohlge- 
falligkeit, die in'der einheitlichen Beziehung der Gannelüren unter 
sich und mit den ins Auge fallenden Gränzlinien der Säule liegt, 
zu Hülfe. Eine Landschaft, in welcher viele horizontale Linien 
z. B. in den Gebirgszügen, den Flussufern, den Absätzen der 
verschiedenen Vor- und Hintergründe gegen einander, breiten 
niedrigen Gebäuden u. s. w. vorkommen, erscheint uns in einem 
ruhigeren Charakter, als eine solche, welche in ihren Felsspitzen, 
einzeln ragenden Bäumen, hoben Häusern und Thürmen viele 
verticale Linien darbietet. 
Burke bemerkt einmal: nAusdehnung begreift Lange, Höhe 
und Tiefe unter sich. Unter diesen thut die Länge die kleinste 
Wirkung. Hundert Ellen auf ebenem Boden werden bei Weitem 
nicht so viel Eindruck machen, als ein hundert Ellen hoher 
Thurm, Fels oder Berg. Ich glaube ferner, dass die Höhe 
weniger gross scheint als die Tiefe, und dass wir stärker gerührt 
werden, wenn wir in einen Abgrund hinab, als wenn wir an 
einer gleich grossen Höhe hinauf sebenß 
Warum das Alles? -Bei der horizontalen Ausdehnung haben 
_ wir an keine Schwierigkeit der Ersteigung wie bei der verticalen 
Hohe, und bei dem Hinaufsehen an einer verticalen Höhe an kein
	        
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