Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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darauf gekommen, sirenn sie von vorn herein im Dienste der Schön- 
heit gestanden, der man sie jetzt als leibeigene Sklavin dienstbar 
gemacht; statt dessen hat sie von vorn herein im Dienste der Beli- 
gion gestanden, und deren anfangs ungefüge und ungeheuerliche 
Ideen nicht anders als in entsprechend ungefügen und ungeheuer- 
lichen Bildungen auszudrücken gewusst. Nun sind wir längst über 
diese Ideen hinaus, immer noch aber scheint uns der Kopf zum 
Körper der Sphinx zu passen, so fest hat die Gewohnheit beide 
associativ verschmolzen.   
Zeitliche Association. 
Verstandes- 
und Gefühlsurtheile. 
Wenn zwei Personen ein Gebäude ansehen, dessen Dach auf 
zu schwachen Stützen ruht, so kann es sich treffen, dass dem Einen 
sein Verstand, dem Andern sein G efühl sagt, dass sie brechen 
werden, und Beide danach dasselbe missfällige Urtheil über diese 
Bauweise aussprechen. Der Unterschied zwischen beiden Ur- 
theilenden aber ist der, dass jener sich der Erfahrungen oder Be- 
geln über die Tragkraft der Säulen, welche sein Urtheil vermitteln, 
bewusst ist, dieser nicht. Doch wird man wohl zugeben, dass es 
auch diesem nicht a n geb ore n sei, einer Säule anzusehen, ob sie 
Tragkraft genug für ihre Last hat, dass also dieses schnelle Ab- 
sehen doch ein Resultat früherer Erfahrungen ist, was sich beim 
Anblick des Bauwerks unmittelbar geltend macht.  Wenn jemand 
ein Kind sich so weit nach Vorn überbeugen sieht, dass dessen 
Schwerpunct nicht mehr unterstützt ist, so springt er schnell zu, 
weil ihm ein reflexionsloses Gefühl sofort sagt, dass das Kind fallen 
wird. Auch hier wird man wohl zugeben, dass eine stille Ver- 
mittlung durch frühere Erfahrungen zu Grunde liegt, wenn man 
in Betracht zieht, dass ja das Kind selbst  und früher war man 
doch auch ein Kind  noch nicht einmal das Gefühl hat, wie es 
seinen eigenen Schwerpunct legen muss, um aufrecht stehen zu 
bleiben. Erst durch Uebung kommt es dahinter. Also ist das, 
was wir hiebei Gefühl nennen, in der That nur Sache einer, durch 
frühere Erfahrungen vermittelten, schnellen Association, wodurch 
sich die Vorstellung des zu erwartenden Zerbrechens der Säule 
an die Vorstellung der zu grossen Dünne, die Vorstellung des zu 
erwartenden Falles an die Vorstellung des gegenwärtigen Vorn- 
überbeugens knüpft. Die einzelnen Erfahrungen sind aus unserm 
jäk
	        
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