Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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Erfüllung oder Nichterfüllung wir das Gefühl der Einstimmung 
oder des Widerspruches haben, und es gehört Wesentlich zu jedem 
schönen Werke, dass sich nirgends ein solcher Widerstreit geltend 
mache, d. h. jeder Theil die durch die Totalität der übrigen er- 
weckten associativen Foderungen befriedige, indess es gegentheils 
zum guten Geschmacke gehört, so gebildet zu sein, um nur asso- 
ciative Foderungen zu machen, die es auch wirklich recht ist zu 
machen. 
Jeder Baustil fodert aus allgemeinen ästhetischen und struc- 
tiven Rücksichten eine gewisse innere Consequenz, und es kann 
ein Theil dadurch, dass er aus dieser Consequenz heraustritt, 
das Missfallen des Kenners verdienen; aber selbst ohne Kennt- 
niss der Foderungen dieser Consequenz und selbst ohne wirk- 
liche Verletzung einer solchen wird jeder Theil, der sich aus 
einem Baustil in einen andern verirrt, worin er nicht heimisch ist, 
ohne Weiteres missfallen, indem den associativen Foderungen, 
die der Gesammtstil des Gebäudes an jeden seiner Theile geltend 
macht, dadurch widersprochen wird. Auch hat man Recht der- 
gleichen zu verwerfen, selbst wenn es an sich nicht verwerf- 
lich wäre; denn ist die associative Federung einmal durch eine 
sehr allgemeine Thatsache begründet, so hat man dieser Thatsache 
auch Rechnung zu tragen. 
Warum aber, so kann man fragen, missfällt uns nun doch 
eine Sphinx, ein Gentaur, ein Engel mit Flügeln nicht, lauter 
Compositionen , in denen Theile zusammengefügt sind, die in der 
Natur nicht zusammen vorkommen, also sich auch nicht auf Grund 
unsrer Erfahrungen in unsrer Vorstellung associativ fodern können. 
Aber, was die Natur niemals zusammengefügt hat, hat die Kunst 
so oft gethan, dass es uns endlich auch zusammenpassend erscheint, 
obwohl eben nur in der Kunst, indess es uns in der Natur Grauen 
erwecken würde. Und gar leicht kommt" doch die associative 
Federung der Natur mit der der Kunst bei solchen Darstellungen 
in Conflict. S0 geistreich die Illustrationen von Reinecke Fuchs 
mit halb menschlich halb thierisch aussehenden und sich behaben- 
den Figuren sein mögen, und so sehr sie uns aus anderen Gesichts- 
puncten gefallen mögen, es bleibt doch etwas Störendes dabei. 
Fragt man aber weit-er: wie konnte überhaupt die Kunst dar- 
auf kommen, Zwittergestalten zu bilden, deren Anblick von vorn 
herein beleidigen musste, so ist die Antwort die: niemals wäre sie
	        
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