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ringe musikalische Wirkung herabgesunken , wenn nicht darunter gesunken,
da man jetzt lieber mit Eisenbahnen reist. Die Post scheint uns jetzt eine
Schnecke, indess sie uns friiher Flügel in die Weite zu leihen schien.
Ein gebildeter Oekonom sagte mir, dass es ihm ein eigenthümlich an-
genehmes Gefühl erwecke, in einen Wehstall zu treten und den Geruch des
Mistes, wenn er eben aufgeräumt oder aufgerührt sei, z-u verspüren , indem
der Eindruck der Fruchtbarkeity die durch den Dünger erzeugt werde. da-
durch besonders lebhaft in ihm erweckt werde.
Der Braten in der Küche, das noch warme frische Brod, der frisch ge-
brannte Kaffee, Maronen auf den heissen Ofen gelegt, verbreiten einen Ge-
ruch, der den Meisten angenehm erscheint. Hier kann man fragen, ob diese
Annehmlichkeit vielmehr an der Eigcnthümlichkeit des Geruches selbst oder
des Genusses, dessen Vorstellung durch den Geruch erweckt wird, hängt;
und ich gestehe, darüber bei mir selbst nicht ins Klare haben kommen zu
können; so wenig scheidet sich hiebei das directe und associirte Moment
des Eindruckesj
In Persien kennt man den Gebrauch von Messer und Gabel nicht, und
wenn ein Perser in ein Reisgericht greift, erkennt er gleich an dem Gefühl,
0b der Reis schmackhaft zubereitet sei oder nicht. Diess geht so weit, dass
ein persischer Schah gegen einen europäischen Gesandten äusserle, "er be-
griffe nicht, wie man in Europa sich der Messer und Gabeln bedienen könne,
da doch der Geschmack schon bei den Fingern beginnen: Aber nur associativ
kann er dabei beginnen. Und so gut wie ein Schah fügt sich ein Hund dem
Associationsprincip. Bnrdach erzählt irgendwo: ein Hund, der so verwöhnt
war, dass er trocknes Brod nicht fressen wollte, habe es doch gethan, als vor
seinen Augen ein trockner Teller damit abgewischt worden, indem er die
sonst gewöhnlich mit dem Brode abgewischle Bratenbrühe mit zu schmecken
geglaubt.
Aber, so höre ich mir von Oben herab zurufen: wozu dieser
ganze Aufwand von Beispielen? was ist damit für die Aesthetik
gewonnen, und überhaupt zu gewinnen? Die Orange, die Wange,
die Nase, die Hand, der Fuss u. s. w. sind unselbständige Theile
der Natur und des Menschenkörpers; eine Aesthetik aber, die sich
nicht niedrig halten will, geht vor Allem auf das Ganze und zieht
die Theile blos als solche in Betracht.
Wohl, so fassen wir die Bedeutung des Principes weiterhin
auch für die Schönheit einer ganzen Landschaft, der ganzen Men-
schengestalt, eines ganzen Kunstwerkes in das Auge, und wir
werden sie nicht geringer als für die Theile, sondern in demselben
Verhältniss erweitert und gesteigert wiederfinden, als das Ganze
die Theile übersteigt. Es lässt sich nur das Princip am einfachsten
an den einfachsten Beispielen erläutern, und wir können auf un-
serem Wege von Unten nicht in der Richtung gehen, die für den