Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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es zur Beurtheiluug der Eleganz und Zierlichkeit des letztern nur 
der gewöhnlichen gesellschaftlichen Erfahrung. 
Eine Blinde, Welche sich der Formen nur durch den Tastsinn 
bemächtigen konnte, wurde gefragt, wesshalh ihr der Arm einer 
gewissen Person so Wohl gefiele. Man rathet etwa: sie antwor- 
tete, weil sie den sanften Zug, die schöne Fülle, die elastische 
Schwellung der Formen des Armes fühle. Nichts von alle dem, 
sondern weil sie fühle, dass der Arm gesund  rege und leicht sei. 
Das konnte sie aber nicht unmittelbar fühlen, sondern nur an das 
Gefühlte associiren. Nun glaube ich nicht, dass der directe Ein- 
druck, in dem man den alleinigen Grund des Wohlgefallens sehen 
möchte, ohne Antheil daran war; aber man sieht doch, dass der 
associirte Eindruck ihr noch lebendiger zum Bewusstsein kam. 
Bei uns Sehenden ist es umgekehrt. Wir meinen einem schönen 
Arme seine Schönheit gleichsam abzusehen, ohne zu ahnen,  dass 
wir das Meiste davon hineinsehen. 
Nicht minder als durch 
das Gebiet 
des Sichtbaren 
und Tast- 
baren greift das Princip durch alle übrigen Sinnesgebiete durch, 
wozu folgende Einschaltung eine Auswahl weiterer Beispiele bietet. 
Eine Frau, die ihren Mann sehr liebte, sagte zu ihm: wie freue ich 
mich, dass du einen so hübschen Namen hast. Der Name war nicht sehr 
hübsch , aber sie liebte den Mann, darum gefiel ihr der Name. Ich selbst 
erinnere mich, dass mir als Kind der Name Kunigunde sehr wohlgeflel, bis 
ich "ein Mädchen von fatalem Aussehen und Charakter mit diesem Namen 
kennen lernte, alsbald ward mir der Name fatal; und da mir seitdem keine 
besonders liebenswürdige Kunigunde begegnet ist, so ist der Eindruck ge- 
blieben. 
Das Froschgeschrei ist an sich nicht anmuthig, und im Concertsaale, 
wo es uns wesentlich um den eigenen oder directen Eindruck der Musik zu 
thun ist, möchte man also auch kein Froschconcert und keine quakende 
Sängerin hören. In der freien Natur aber gefällt uns das Froschgeschrei 
theils als Ausdruck des Wohlbehagens der Frösche, theils als Attribut des 
Frühlings. Sollte es Schmerz der Thiere ausdrücken oder im November 
statt im Mai gehört werden, so wäre es unausstehlich. Der Nachtigallenge- 
sang und der Ton der Alpengloeken gehören mit zu den Concertstimmen der 
freien Natur, die zwar nicht so wie das Froschgeschrei blos, doch mit 
durch Association uns weit über ihre eigene oder directe Leistung an- 
sprechen. 
Früher hatte auch der Klang des Posthorns durch die Erinnerung an 
das Reisen, die er erweckte, einen Reiz, der mit seiner directen musikali- 
schen Wirkung in keinem Verhältnisse stand , wie ich mich noch sehr wohl 
aus meiner Jugendzeit erinnere. Jetzt ist sein Reiz so ziemlich auf seine ge-
	        
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