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der Anblik dieser Frucht früher für mich hatte, und noch jetzt
dürfte man ihr keine im Aussehen vorziehen.
Worin nun liegt das Reizende ihres Aussehens? Natürlich
denkt jeder zunächst an ihre schöne reine Goldfarbe und reine
Rundung. Und gewiss liegt viel hierin; vielleicht meint man sogar,
dassAlles hierin liege. Ja, worin sollte es denn sonst liegen "f Aber,
wenn der Leser so fragte, so wäre diess ein Beweis, dass ihm
unser Princip nicht präsent ist, oder sollte ihm noch etwas bei-
fallen, so würde es sicher unter das Princip treten. Also möge
man einen Moment überlegen, ob wirklich der ganze Reiz des
Aussehens dieser Frucht in ihrer schönen Goldfarbe und reinen
Bundung begründet ist!
Ich sage nein; denn warum gefiele uns nicht sonst eine gelb
überiirnisste Holzkugel eben so gut wie die Orange, wenn wir
wissen, dass sie vielmehr eine Holzkugel als eine Orange ist. Ja,
trotzdem, dass die Orange eine rauhe Schale hat und Bauhigkeit
im Allgemeinen minder gut gefällt als Glätte, wie sich beim Ver-
gleich, verschiedener Holzkugeln selbst beweist, und im Sinne
eines früher besprochenen Principes liegt, so gefällt uns doch
die rauhe Orange besser als die lackirte Holzkugel
Das kann nicht in einem Vorzuge der Wohlgefälligkeit der
Form und Farbe an sich selber liegen, in dieser Hinsicht sind sich
beide Gegenstände gleich, oder kann die Holzkugel selbst den Vor-
zug haben. Der Vorzug der Orange kann nur darin liegen, dass
wir eben eine Orange, aber keine Holzkugel in ihr sehen, dass wir
die Bedeutung der Orange an ihre Form und Farbe knüpfen. Die
Bedeutung der Orange aber liegt freilich zum Theil selbst mit in
Form und Farbe, doch keineswegs allein, vielmehr in der Ge-
sammtheit 'dessen, was sie ist und wirkt, insbesondere in Be-
a") Burke in s. Abhandlung vom Schönen und Erhabenen sagt gar, frei-
lieh einseitig übertreibend: "Die Glätte scheint der Schönheit so wesentlich
zu sein, dass ich mich nicht eines einzigen Dinges erinnere, das ohne die-
selbe schön wäre. Ein sehr beträchtlicher, und vielleicht der beträcht-
lichste Theil von dem Eindrucke, den die Schönheit macht, ist dieser Eigen-
schaft zuzuschreiben. Denn man nehme irgend einen schönen Gegenstand,
und gebe ihm eine rauhe und höckrichte Oberfläche , und er wird uns nicht
mehr gefallen. Dahingegen mögen ihm noch so viele von den andern Be-
standtheilen der Schönheit fehlen, er wird uns doch, wenn er nur diese hat,
besser gefallen, als mit allen übrigen ohne dieselben