Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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der Anblik dieser Frucht früher für mich hatte, und noch jetzt 
dürfte man ihr keine im Aussehen vorziehen. 
Worin nun liegt das Reizende ihres Aussehens? Natürlich 
denkt jeder zunächst an ihre schöne reine Goldfarbe und reine 
Rundung. Und gewiss liegt viel hierin; vielleicht meint man sogar, 
dassAlles hierin liege. Ja, worin sollte es denn sonst liegen "f Aber, 
wenn der Leser so fragte, so wäre diess ein Beweis, dass ihm 
unser Princip nicht präsent ist, oder sollte ihm noch etwas bei- 
fallen, so würde es sicher unter das Princip treten. Also möge 
man einen Moment überlegen, ob wirklich der ganze Reiz des 
Aussehens dieser Frucht in ihrer schönen Goldfarbe und reinen 
Bundung begründet ist! 
Ich sage nein; denn warum gefiele uns nicht sonst eine gelb 
überiirnisste Holzkugel eben so gut wie die Orange, wenn wir 
wissen, dass sie vielmehr eine Holzkugel als eine Orange ist. Ja, 
trotzdem, dass die Orange eine rauhe Schale hat und Bauhigkeit 
im Allgemeinen minder gut gefällt als Glätte, wie sich beim Ver- 
gleich, verschiedener Holzkugeln selbst beweist, und im Sinne 
eines früher besprochenen Principes liegt, so gefällt uns doch 
die rauhe Orange besser als die lackirte Holzkugel 
Das kann nicht in einem Vorzuge der Wohlgefälligkeit der 
Form und Farbe an sich selber liegen, in dieser Hinsicht sind sich 
beide Gegenstände gleich, oder kann die Holzkugel selbst den Vor- 
zug haben. Der Vorzug der Orange kann nur darin liegen, dass 
wir eben eine Orange, aber keine Holzkugel in ihr sehen, dass wir 
die Bedeutung der Orange an ihre Form und Farbe knüpfen. Die 
Bedeutung der Orange aber liegt freilich zum Theil selbst mit in 
Form und Farbe, doch keineswegs allein, vielmehr in der Ge- 
sammtheit 'dessen, was sie ist und wirkt, insbesondere in Be- 
a") Burke in s. Abhandlung vom Schönen und Erhabenen sagt gar, frei- 
lieh einseitig übertreibend: "Die Glätte scheint der Schönheit so wesentlich 
zu sein, dass ich mich nicht eines einzigen Dinges erinnere, das ohne die- 
selbe schön wäre.    Ein sehr beträchtlicher, und vielleicht der beträcht- 
lichste Theil von dem Eindrucke, den die Schönheit macht, ist dieser Eigen- 
schaft zuzuschreiben. Denn man nehme irgend einen schönen Gegenstand, 
und gebe ihm eine rauhe und höckrichte Oberfläche , und er wird uns nicht 
mehr gefallen. Dahingegen mögen ihm noch so viele von den andern Be- 
standtheilen der Schönheit fehlen, er wird uns doch, wenn er nur diese hat, 
besser gefallen, als mit allen übrigen ohne dieselben
	        
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