Volltext: Die materielle Dauerhaftigkeit der Oelmalereien (Theil 2)

75T 
freilich ein irriger Schluss war, wie z. B. Bilder des Titian und 
Veronese neben solchen des Gian Bellini oder der alten Fla- 
mänder augenfällig darthun. 
Aber Während sich so in diesen silbergrauen Malgründen 
noch ein direktes Anlehnen an die weissen Unterlagen bekundet, 
verliess man diese letzteren auch geradezu gänzlich und setzte 
mit Energie und Bewusstsein, aus Ursachen rein innerlich 
künstlerischer Natur vollkommen dunkle und farbige an deren 
Stelle. Das malerische Studium der Naturerscheinung hatte 
bei den Italienern des I 5. Jahrhunderts einen geradezu wissen- 
schaftlichen Charakter angenommen. Die Koryphäen der Kunst 
betrieben aufs Eifrigste die Erforschung der Anatomie nicht 
nur de.r menschlichen und thierischen, sondern selbst auch der 
Pflanzen-Gestalt, sie wandten die Gesetze der Schwere und 
Hebelkraft auf Bewegung und Statik der darzustellenden or- 
ganisch gegliederten Körper an und erreichten so eine hohe 
Meisterschaft zeichnerischer Darstellung aller Figur und ihrer 
Gliedmaassen, in jeder nur möglichen Stellung und Ansicht. 
Ein gleichermaassen wissenschaftliches Studium der Perspective 
hatte der Malerei die Fähigkeit verliehen, die zeichnerische Er- 
scheinung vertiefter Räumlichkeit und des Reliefs hier Platz 
findender Solidkörper trefflich nachzuahmen; die ebenso gründ- 
lich betriebene Erforschung der Gesetze der Beleuchtung fügte 
hinzu, was dieser F ormenzeichnung noch an Schein der Plasti- 
cität fehlte. Von dem letztgenannten aller dieser Studienfächer 
kann man aber geradezu sagen, es sei durch die Oelfarben- 
technik nicht nur auf Schritt und Tritt unterstützt, sondern 
auch fort und fort neu angeregt worden. Denn erst diese Tech- 
nik gewährte der Malerei die genügenden und ausgiebigen 
Mittel zu Darstellung von Schatten und Licht.  
Die Gelegenheit und den Raum, sich künstlerisch auszu- 
sprechen, fand alles soeben Erwähnte in jener damals aufkommen- 
den stark plastischen Mal- und Anschauungsweise, die man das 
Clair-Obscur nennt und deren Ausbildung eben durch die Oel- 
malerei möglich ward. Hier nun, wo tiefen und mannigfach 
abgestuften Schatten ein grösserer Theil der Bildfläche ein- 
geräumt wird und nur beschränkte Lichtmodellirungen sich aus
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.