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auf dem Nichts mehr einschlug. Es liess sich auf ihr, da sie
lauter ganz helle Töne enthielt, sehr schön und brillant mit
durchscheinenden Farben weiterarbeiten, sodass die von meinen
Freunden so gefertigten Bilder an Schönheit und innerem Leuchten
der Farben den Oelbildern älterer Schulen wohl nahe kommen.
Die Wohlerhaltenheit mancher sehr alter Temperabilder,
die zweifellos auf solche Tafeln gemalt sind, beweist für das
grosse Cohäsionsvermögen und die dauerhafte Festigkeit dieses
aus gereinigtem, kohlensäurefreiem Gyps und sehr viel starkem
Leim bestehenden Gemisches. Die im Verlauf weniger Tage
stark erhärtende und dann, wenn sie vor Feuchtigkeit bewahrt
bleibt, ihr Volumen nicht mehr verändernde Masse darf zu dem
Zweck, sich sehr glatt und eben schaben zu lassen, ohne
Gefahr der Bröckelung so dick aufgetragen werden, wie
Cennini es beschreibt. Selbst ein nachträgliches gelindes F eucht-
werden hat ihr Nichts an, wenn es sich nur nicht allzu häufig
wiederholt und die Feuchtigkeit Luft hat, so, wie sie eindrang,
allmählich und vollkommen auch wieder zu verdunsten, ohne
dass anderweitige gewaltsame Einflüsse, wie Erschütterungen,
Biegung u. s. w. dabei mit in's Spiel kommen. Nun sitzen die
Gyps-Leimgründe der alten Temperabilder auf Holztafeln, die
eine ziemliche Dicke besitzen und, zweitens, so zubereitet sind,
dass sie sich unter dem Einfluss der Feuchtigkeit nicht leicht
werfen. Endlich wurden die Bilder unter normalen Verhältnissen
an trockenen Orten aufbewahrt und so konnte eine nur geringe,
von der Rückseite her durch das Holz bis zur Gypsrnasse vor-
dringende Feuchtigkeit keine grosse Gefahr für den Gyps mit
sich führen; sie zog, wie sie gekommen war, wieder ab. An
der Vorderseite ward die Malerei selbst durch einen stark öl-
haltigen Harziirnissl gegen Luftfeuchtigkeit geschützt.
1 Der bei Cennini, Cap. 155, zum Ueberziehen der Temperatafeln die-
nende ,.Hüssige Firniss (vernice liquida)" uvar, wie aus dem Ende des Capitels
hervorgeht, da er der Sonne zum Trocknen bedurfte, sicher ein langsam
trocknender, mit Oel versetzter Firniss. Bei der nahezu vollständigen Ueber-
einstimmung fast aller Hauptanweisungen CenninPs mit Recepten des soge-
nannten Malerbuches vom Berge Athos darf man wohl annehmen, dass
Cenninfs vernice liquida eine ähnliche Zusammensetzung hatte, wie diejenigen