70
Wenn aber die Malereien fertig und ausgetrocknet sind, so
besteht auch nach möglichster Verwerthung jener optischen
Unterschiede dennoch zwischen den höchsten Lichtern und den
transparentesten Schatten keine solche Differenz der quantitativen
Reflexion, dass die Wirkung eine hochplastische sein könnte
und ein gemeinsamer Schimmer grauen Oberflächenlichts liegt
noch ausgleichend über allen F arbentönen. Die krystallinische
Textur des bindenden Kalkhydrates absorbirt dies Oberflächenlicht
keineswegs, sondern verleiht ihm durch seine kleinen weisslichen
Spiegelflächen nur ein eigenthümliches, sanftes Leuchten. Wie
wenig verändernden Einfluss diese Substanz als lichtvermitteln-
des Medium auf die qualitative LichtreHexion der Farbstoffe
ausübt, erhellt am besten daraus, dass der kohlensaure Kalk
im Fresko als Deckweiss verwendbar bleibtä
3. Tampera- oder a! Setze-Malerei. Die Bindemittel der
sogenannten Temperafarben sind mit Wasser oder mit Wasser
und F eigenmilch verdünntes Eigelbz, oder statt dessen ein aus
Abfällen von weissem Leder oder Pergament gekochter schwacher
Leim (colla di ritaglio, colla dolce), bei kleinen Arbeiten für
einige helle Farben, auch zuweilen bloss der klebrige milchweisse
Saft unreifer Feigen oder der Lilien und anderer Pflanzen mit
Diese Erläuterungen zu der Stelle bei Borghini und zu ähnlichen Stellen bei
andern Kunstschriftstellern verdanke ich einem der bestbewährten unter den
modernen Freskomaleru, dem erst kürzlich verstorbenen Herrn Franz Plattner
aus Innsbruck.
I Derselbe reiiektirt, mit Gummi arabicurn, Teinpera-Leim, oder gar
mit Oel verrieben, kein YVeiss mehr, sondern erscheint nur noch als bräunlich
schmutzige Trübung. Vom Wasser wird er so sehr zertheilt, dass er, solange
er nass ist, auf der Malerei gar nicht bemerkt wird und, in starker Quantität
mit andern Farben gemischt, dieselben in nassem Zustande ebenso dunkel
lässt, als wenn er nicht dabei wäre. Erst, wenn das Wasser verdunstet und
er mit dem Kalkhydrat gebunden ist, reflektirt er wieder Weiss. Die Ver-
mengung mit Kalkhydrat übt also auf die Lichtreiiexion dieses nicht sehr
dichten Farbenkörpers keinen merkbaren abschwächenden Einfluss aus und
wird folglich auch dem lichten Ton der anderen, dichteren Farben wenig
Eintrag thun.
2 Der milchweisse Saft, den unreife Feigen, oder auch die dem Stiel
nächsten Theile reifer Feigen enthalten, hat die Eigenschaft, Eiweiss und Ei-
gelb, denen er zugerührt wird, sofort iiüssig, wie Wasser, zu machen.