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auszubeuten, aber doch wenigstens in so merklichem Grad, dass
es farblose Tiefen kräftig von farbenklaren unterscheidet;
auf's Wirkungsvollste aber kann es zur besseren Neutralisirung
und Harmonisirung stumpfgrauer Uebergänge und Halbschatten
ausgenützt werden. Kurz, es ist durch die Möglichkeit lasirender
und halbdeckender Schichtung und in Folge des Vorhandenseins
der Unterschiede deckender und transparenter Pigmente über-
haupt ein weit grösserer und natürlicherer Effekt von Licht
und Schatten, eine weit grössere Farbenpracht und zugleich
eine weit feinere Harmonisirung des Colorites ermöglicht. Auch
das Princip der Mischung durch Addition ist nicht ausgeschlossen,
denn das F resko benutzt dasselbe in Form feiner, heller Linien-
gitter, die es über brillante F arbentöne legt, ebensowohl in den
höchsten Lichtern, als in Gestalt ähnlicher dunkler Gitterungen
über farbensatten Tönen in den tiefsten Schatten, und kann
überhaupt solche Liniennetze bei alle n Farben- und Modellirungs-
tönen mit zu Hilfe nehmen, deren Schlusseffekt mit Sicherheit
im'Voraus und unter der Arbeit abwägend.
Zur effektvollen Ausnützung aller der erwähnten in dem
Materiale gebotenen Vortheile gehört bekanntlich Erfahrung,
gute Vorbereitung, künstlerische Sicherheit und Promptheit; die
Zeit zur Arbeit ist an die kurze Dauer der Kalksinterbildung
des Malgrundes gebunden. Die italienischen Freskomaler, die
von Giotto bis noch hinab zu Tiepolo Meister jener künstlerischen
Vortheile waren, kannten auch manches sie hieber unterstützende
mechanische Auskunftsmittell.
1 Um die Arbeitszeit möglichst auszudehnen und das Legen von
Lasuren al fresko zu ermöglichen, findet sich bei Borghini (I1 Riposo.
Florenz. 1584) ein Auskunftsmittel. Der Kalkbewurf soll etwas dick von
Schicht und nicht zu sehr mit Sand gemischt, sondern eher etwas fett sein.
Dann ist die Sinterentwicklung reichlicher und dauert auch länger an, da in
der dickeren Schicht die Feuchtigkeit länger anhält. Man lässt die früh am
Tag angefertigte Untermalung 3-4 Stunden lang anziehen, ohne sie zu be-
rühren, worauf man sie lasiren kann, ohne sie aufzulösen und dabei doch
sicher ist, dass die Lasur noch gebunden wird. Bei Anfertigung des Fein-
verputzes ist darauf zu achten, dass derselbe nicht zu fest geschlagen und
zu stark geglättet werde, was namentlich bei Marmorstucco leicht vorkommt-