Volltext: Die optischen Besonderheiten der Oelmalerei (Theil 1)

aus, als im Uebrigen und als er in Wahrheit ist, die Lichtfläche 
dagegen scheint im Contakt mit ihm heller, als an ihren andren 
Stellen. Aber noch mehr. Es können in einem Halbschatten, 
wenn wir denselben allein ansehen, noch vielerlei Unterschiede 
der Abschattirung deutlich fühlbar sein, die uns das Relief 
der Form auf's Beste zeigen. Es trete an demselben Gegen- 
stand ein sehr helles Licht auf, und jene Unterschiede sind 
unserem Auge verschwunden, das jetzt nur noch den Haupt- 
contrast zwischen dem hohen Licht und der Generalschatten- 
masse empfindet. Das Entsprechende kann auch, umgekehrt, 
in einer mässig hellen und noch mannichfache Nüancirungen 
zeigenden Lichtmasse durch das Danebentreten eines heftigen 
Dunkelheitsunterschiedes begegnen, der unsre Empfindlichkeit 
für jene nur schwachen Halbtöne schwächt und auslöscht. 
Die hier berührten, allen Malern bekannten und schon aus- 
führlichst in Lionardds Buch von Schatten und Licht erörterten 
Erscheinungen lehren also demjenigen Maler oder Zeichner, der 
durch Licht und Schatten das Relief der Form deutlich aus- 
drücken und bis in den Reiz des Details verfolgen will, dass er 
eine massige Beleuchtung wähle, in der sich die Lichter und 
Schatten des Naturvorbildes nicht in allzugrossem Contrast 
beünden. 
Aber auch dann wird er noch Vorsichtsmaassregeln gegen 
Täuschungen anzuwenden haben, sobald es sich um einen Gegen- 
stand von nur einiger Ausdehnung und einigem Reichthum an 
Nüancirungen der Licht-, Halblicht- und Schattentöne handelt. 
Man wird dann wohlthun, bevor man in seine Nachahmung 
diese Unterschiede einzutragen beginnt, sich das Vorbild gründlich 
im Ganzen auf die Stellen seiner höchsten Lichter und tiefsten 
Schatten anzusehen, wird diese Stellen im Verlauf der Arbeit 
nie ganz aus dem Auge verlieren, sondern immer wieder zu 
ihnen zurückkehren, um sie als feste Maassstäbe zum Bestimmen 
der Grade der übrigen verschiedenerlei Halblichter und Halb- 
schattentöne zu benutzen. Würde man dies versäumen und 
den Licht- oder Schattengrad jeder einzelnen Stelle am Natur- 
vorbild nur immer nach demjenigen der gerade daneben befind- 
lichen Stelle beurtheilen, so würde man mit dem Gesammteffekt
	        
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