Volltext: Die optischen Besonderheiten der Oelmalerei (Theil 1)

an Vielfältigkeit und Herrlichkeit der Probleme und Leistungen 
die Schwesterkünste weit in Schatten stellt, verdanktsie der 
Flächenhaftigkeit des lVlal- oder Zeichengrundes, an den sie 
gebunden ist. Dank dieser hält sie auf ihren Bildern von Solid- 
körpern der Wirklichkeit diejenigen perspektivischen Schnitte 
der Proportionalität und Gruppirung fest, die ihr unter viel 
hundert möglichen als die wohlgefälligsten und charaktervollsten 
erscheinen. Ja, handelt es sich um Gegenstände, die von Pro- 
portion an sich hässlich oder nichtssagend wären, so ist sie 
sogar im Stande, dieselben im Bilde so erscheinen zu lassen, 
dass sie sich dem Rhythmus des Ganzen als Theile harmonisch 
und bedeutsam einordnen müssen, ohne doch desshalb am eignen 
charakteristischen Aussehen Gewalt zu erleiden. 
Wir sahen also, wie die Zeichnung, der erste Haupttheil 
der Malerei, durch die Eigenart ihres ersten technischen Ve- 
hikels, die Bildfläche, beim Studium der Naturformen an eine 
bestimmte Weise des Sehens gebunden wird; wie die künst- 
lerische Vernunft diese Weise ausfindig machte und so zum 
Vortheil und zur Erleichterung der natürlichen Zeichnung aus- 
nützte, was für lange Zeit ein Hinderniss derselben gewesen 
war; wie sie aber zugleich mit Bewusstsein darauf verzichtete, 
in Absicht der Natürlichkeit weiter zu gehen, als die Natur 
des Vehikels und das künstliche Auskunftsmittel gestatten.  
Dann sahen wir der Zeichnung durch dieselbe Eigenart des 
Vehikels ein Feld eröffnet, auf dem sie eine ihr specitisch zu- 
gehörige künstlerische Wirkungskraft entfaltet, und ihr 
Genius Eindrücke mit Bewusstsein hervorruft, die an Bestimmt- 
heit und Reinheit die ähnlichen bloss zufälligen der Natur 
als künstlerische übertreffen.
	        
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