Volltext: Die optischen Besonderheiten der Oelmalerei (Theil 1)

den Eindruck des 
so überlegenen  
rufen. 
 wenn auch an 
Naturvorbildes vor 
realem Kraftmaass noch 
die Seele des Beschauers 
In der Malerei erleidet nun aber auch die Wiedergabe der 
am Natürlichen wahrgenommenen Verhältnisse noch ganz be- 
sondere Einschränkungen. Richtungs- sowie Grössenverhältnisse 
der Formen z. B. werden hier nicht dargestellt, wie sie am 
Naturvorbild wahrhaft auszumessen sind, sondern nur so, wie 
sie in Folge ihrer Stellung oder Lage zur Schnittfläche des Seh- 
strahlenkegels, d. h. zur Bildfläche, auf dieser, mehr oder weniger 
verändert oder verjüngt, zum Vorschein kommen können. Für 
richtige zeichnerische Darstellung fällt also nicht etwa bloss in 
Betracht, dass die besagten Verhältnisse so, wie sie am Natur- 
objekt in Wahrheit bestehen, richtig abgeschätzt seien, sondern 
eben so wichtig  wenn nicht wichtiger  ist die richtige Ab- 
schätzung ihres Verhaltens zum Vehikel der Darstellung, zur 
Bildfläche. Mit bewusstvoller, überzeugend klarer Logik ist dies 
zum ersten Mal in Albertfs Lehre der imalerischen Perspektive 
entwickelt; ein folgenreicher Schritt zum damals beginnenden 
höchsten Aufschwung der malerischen Darstellungskunst. Es 
ist scharf erfasst, dass bei malerischer oder zeichnerischer Dar- 
stellung der Rundform die Beobachtung sich nicht frei und 
unbedingt auf das Naturobjekt oder dessen Verhältnisse an sich 
beziehen könne, sondern sich nothgedrungen in die Schranken 
und in den Modus fügen müsse, die ihr die Subjektivität des 
Vehikels oder Mittels der Darstellung vorschreibt. Dies Vehikel 
ist hier die Fläche, also das gerade Gegentheil der darzustellenden 
Körperhaftigkeit. Und nur, indem die Malerei sich entschliesst, 
ihre Beobachtung und Darstellung der Rundform dem Modus 
Zu accommodiren, den die Darstellungsiiäche gestattet, und 
Allem zu entsagen, was diese auszudrücken verweigert, ist sie 
im Stande, jenes „erste Wunder" ihrer Kunst zu bewirken, dass 
nehmlich für des Auges Empfindung die körperlose Flächen- 
haftigkeit der Bildtafel ausgetilgt werde. Bis- zu welchem Grade 
sie sich in Erweckung dieses Eindruckes vertiefter Räumlichkeit 
mit der Wirklichkeit messen und warum sie nicht weiter, als 
bis hieher gelangen könne, erörtert Lionardo in der Eingangs
	        
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