Die
Charakteristik
der Landschaft.
317
Stellung vom Schönen angemessen, wie diese sich ausgebildet hat.
Allein es ist immer doch ein Vorteil, dal's der Blick sich erweitert
hat und das Schöne nicht n1ehr an gewisse Linien, Formen und
Erscheinungen gebunden empünrlet, sondern es in dem Eigentüm-
lichen und Charakteristischen eben so gut und vollkommen wieder-
linclet, selbst wenn dies sich in Formen zeigt, die jenen über-
kommenen zu widerstreben scheinen.
Um so notwendiger stellt sich dann heraus, dal's diese Eigen-
tümlichkeiten lebendig empfunden, genau studiert und verständig
ausgewählt sind. Schon nach den Tages- und Jahreszeiten
Wechselt der Eindruck, den eine Landschaft macht. Sie hat aber
an und für sich durch ihre Formation und Vegetation, durch die
Art wie sie bebaut und bevölkert ist bereits ihren eigenen Cha-
rakter, der aufser den angegebenen Ursachen noch durch die
geographische Lage und das Klima mit bestimmt wird. Alle diese
verschiedenen Momente müssen in harmonischer Vereinigung zu-
gleich zur Erscheinung kommen und werden das auelrganz von
selbst, so wie ein begabter Künstler von dem Eindruck irgend einer
Natur, einer bestimmten Landschaft, einer besonderen Naturer-
scheinung, erfüllt und zum Schaffen angeregt ist. Um dies zur Aus-
führung zu bringen, mufs er alles dazu gehörige im ganzen und
im einzelnen genau studiert haben, damit kein einzelner Teil
seines Bildes dem Charakter" und Eindruck des Ganzen widerspreche
und diesen dadurch beeinträohtige. Dies alles um so mehr, je
mehr nur die Eigenartigkeit der Landschaft den Künstler zum
Schaffen angeregt hat.
In den verschiedensten und entlegensten Ländern giebt es
immer doch viel Gleichartiges in den Erscheinungen am Himmel
und auf Erden. Die feuchten Ebenen der Niederungen in der
Nahe des nordischen Meeres haben eben so gut ihre trockenen
Tage und dürren Zeiten, wie die dürren Steppen der Hochebenen
ihre nassen. Der Silberton der Luft des Nordens breitet oft
seinen Glanz über südliche Landschaften, während die Abend-
sonne mit ihrem purpurnen Gold auch die nackten Felsen, ja selbst
die Eisblöcke des Nordens überzieht. Aber bei solchen gleich-
artigen, allgemeinen Zustanden darf doch niemals das Eigentüm-
liche und Charakteristische einer jeden Gegend zu sehr in den