276
Vierzehnter Abschnitt.
Von der Kleidung und Gewandung.
Stoff zu ordnen hat, so giebt es natürlich eine gröfsere Anzahl
dünner, schmaler und kleiner Falten. Da müssen dann einige
derselben zusammengenommen gröfsere Partieen bilden, die
von kleineren bestimmt geschieden sind , um Mannigfaltigkeit
und doch Deutlichkeit in die Licht- und Schattenmassen zu
bringen.
Diese
schmalen
und
kleinen
Falten
sind
überall
da
am
häu-
figsten, wo das Zeug geprefst und zusammengedrückt ist, wie an
dem Gürtel, den Ärmeln etc. Im Gegensatz zu diesen kleinen
Falten mufs das Auge dann auf grofsen, glatten oder wenigstens
breiten und fast einfachen Partieen ausruhen können.
Rat und Belehrung über schöne Anordnung der Gewänder
wird man sich am besten durch das Studium der Werke der
grofsen Meister der Renaissance und der bedeutendsten Meister
der jüngst vergangenen Zeit und Gegenwart verschaffen können.
Kupferstiehe und Photographieen sind jetzt überall leicht zu er-
reichende Hülfsmittel.
Vor allen Dingen mufs man die Falten an dem Modell selbst
gut ordnen, dort parallele Falten, Welche dem Auge unange-
nehm sind, besonders aber Falten, welche die Form eines
Gliedes unkenntlich machen und sich bis in das Fleisch zu ver-
tiefen scheinen, vermeiden- Man darf sich nicht damit entschuldi-
gen, dal's man es so gesehen habe, denn man soll eben das Bessere
Wählen. Die Natur bewegt sich, sie stellt sich uns innerhalb
weniger Augenblicke in verschiedensten Erscheinungen und For-
men dar, so dafs uns kein Anblick derselben lange aufgenötigt
wird. Das Gemälde dagegen bleibt immer dasselbe, mithin mufs
der Geschmack bei allen dargestellten Gegenständen die Richt-
schnur abgeben.
Aus eben dem Grunde mufs man auch manche Verkürzungen
vermeiden, die schlecht aussehen, so schön gezeichnet und gemalt
sie auch sein mögen. Man kann sie richtig nachgeahmt haben,
aber in der Natur löst sich die unangenehme Erscheinung leicht
und bald auf, nur eine kleine Bewegung nach rechts oder links
verändert den Anblickdavon, während man in einer Malerei ge-
nötigt ist, eine unangenehme Erscheinung beständig und immer
so und nicht anders als dargestellt ist, zu betrachten.