ihrer Zeitdauer ein Auge heiter, das andere schläfrig, einen Teil
des Gesichts belebt und gehoben, einen andern schlaff und abge-
spannt machen würde.
Hiergegen giebt es nur ein Mittel: Die Vorstellung von der
Persönlichkeit, die den Maler als besonders charakteristisch, interes-
sant oder reizvoll grade für die Natur erschien. Dieser be-
stimmte Ausdruck, diese bestimmte, grade der Natur eigene
Miene des Gesichts, die den Maler schon bei der Anordnung des
ganzen für Bewegung, Beleuchtung und Ansicht leiten sollte, mufs
der Maler auch nun im Gedächtnis festhalten und gewisser-
maf se11 nach diesem Bilde in seinem Innern die Züge der Natur
verändern und dann so wiedergeben. Je lebendiger dies Bild in
ihm ist, um so unwillkürlicher, man könnte fast sagen unbewufs-
ter wird er jenes thun. Diese innere Thatigkeit, die in dem
Werke sichtbar wird, nennt man bei einem Kopf, einer Persön-
lichkeit, bei einem Portrait die Auffassung.
Je mehr diese dem wirklichen Charakter der Person entspricht
und je mehr der Maler bereits die künstlerischen und technischen
Mittel der Ausführung beherrscht, um so vollkommener wird das
Gemälde, um so gröfser die Ähnlichkeit sein.
Wie aber erlangt der Maler die nötige Kenntnis von diesem
so eigentümlichen Ausdruck, den eine jede Persönlichkeit hat,
grade wie auch einen eigentümlichen Ton der Stimme? Zu-
nächst durch seine Begabung hierfür. Denn es giebt manche
ausgezeichnete Künstler, welche doch keine eigentliche Begabung
für das Portrait haben. Dann durch Beobachtung der Natur,
wenn diese zufallig oder durch eine lebhafte Unterhaltung zu
einem lebendigen Ausdruck, zu einer gewissen ganz natürlichen
und nicht störenden Beweglichkeit ihrer Gesichtszüge gekommen
ist. Bringt der Zufall das nicht, so mufs der Maler eine solche
Unterhaltung herbeiführen, ohne dal's das Modell diese Absicht
merkt, und dann die Züge des Gesichts studieren und seinem Ge-
dächtnis einprägen, was davon, welche Art des Ausdrucks
ihm am besten und geeignetsten für die Persönlichkeit er-
schienen
ist.