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Lection.
Zwanzigste
Kleidung.
damit, dass man es so gesehen habe, denn es hing ja von uns
ab, das Beste zu wählen. Die Natur ist übrigens nicht unbe-
weglich, sie stellt sich uns in einem Augenblick unter tausend
Gesichtspunkten dar, so dass wir bei ihrem Anblick nicht ermü-
det werden, das Gemälde dagegen bleibt immer dasselbe, mithin
muss der Geschmack bei allen dargestellten Gegenständen die
Richtschnur abgeben. Aus eben dem Grunde muss 'man einige
Verkürzungen vermeiden, die eine üble Wirkung machen, so
schön gezeichnet und gemalt sie auch sein mögen. Man kann
sie richtig nachgeahmt haben, allein in der Natur lässt sich das
Widersprechende erklären; blos eine kleine Bewegung des Kopfes
nach rechts oder links verändert den Anblick davon, während
man in einer Malerei genöthigt ist, eine verkrüppelt und unan-
genehm erscheinende Sache beständig aus einem und demselben
Gesichtspunkte zu betrachten.
Man muss sich daher nicht allein von allen den Dingen frei
machen, die zweifelhaft oder unangenehm scheinen können, son-
dern auch unbedeutende Details und den Wirrwarr von Fal-
ten ohne Motiv und Charakter weglassen, der die allgemeine
Wirkung der Draperie zu stören im Stande ist. Besonders ist
dieses erlaubt, wenn man viel kleiner und nicht in natürlicher
Grösse malt, da muss man sich nur an die Hauptmassen halten
und die Draperie so malen, dass, wenn man den Stoff ausbrei-
ten würde, er wirklich die Ausdehnung und Weite darbieten
könnte, die man sich dabei denkt. Aber bei der Wahl der
Falten muss mit Umsicht verfahren werden, damit nicht der
Hang zur Einfachheit in Armseligkeit ausarte, denn man muss
immer die Art und die Eigenschaft eines jeden Stoffes wieder
erkennen.
Niemals mache man die Schatten einer Draperie von eben
so lebhafter und reiner Farbe, als die Lichter derselben; der-
selbe Grund, der das Weiss in den starken Schatten grau und
selbst braun erscheinen lässt, nöthigt uns, daran zu denken,
dass auch alle anderen Farben dabei trüber und schwarzer er-
scheinen müssen; Indessen giebt es Fälle, wo Stoffe, besonders
Seidene, ziemlich lebhafte Reflexe haben, und zwar, wenn eine
helle Farbe ihr Licht auf eine andere, die nahe, und im Schatten