Pinselführuxmg.
307
Sicherheit, dass sie fast niemals eine Copie, so gut sie auch ge-
macht ist, für ein Original halten.
Die Pinselflihrung eines grossen Meisters hat einen soiuunter-
scheidenden Charakter, dass es tausendmal schwerer ist, sie voll-
kommen nachzuahmen, als eine Namenssignatm" oder irgend welche
Schrift.
Man wundere sich also nicht mehr, wenn wahre Kenner ein
Original von der Copie leicht unterscheiden. Die grosse Schwie-
rigkeit besteht darin, dass man eine grosse Anzahl Maler bis zu
dem Grade studirt haben muss, dass man ihr Genre und ihre
Art zu malen vollkommen kennt. Dieses Studium ist lang und
erfordert einen feinen Geschmack und natürliches Gefühl; daher
kommt es, dass es so wenig wahre Kenner giebt.
Ein Copist kann die Umrisse vondem Original kalkiren, er
kann sogar die Wirkung, die Farbe und den Ausdruck des Kopfs,
wenn er einiges Talent hat, ziemlich gut nachahmen; allein bei
der Pinselführung, welche die Seele des Originals ist, wird er
Scheitern. Ich sage noch mehr: ein Maler, welcher sich selbst
copirt, wie dies öfters geschieht, hat nicht mehr dieselbe Hin-
gebung, dieselbe Freiheit des Pinselstrichs in seiner Copie, blos
aus dem Grunde, weil er sich die Last aufgelegt hat zu copiren,
und weil er nicht mehr nur nach seiner Eingebung arbeitet. Ich
habe es allezeit selbst erfahren, und alle meine Freunde haben
mir gestanden, in demselben Falle gewesen zu sein.
Man mache daraus nicht den Schluss, dass es blos darauf
ankomme, freie und dreiste Pinselstriche zu machen, um vortreff-
liche Werke zu liefern, sondern diese Pinselstriche müssen auch
mit der grössten Richtigkeit angebracht sein, sowohl in Ansehung
der Wahrheit des Tons, als der darzustellenden Form; sie müssen
nicht hart, nicht mager, nicht trocken, sondern harmonisch, weich,
ausdrucksvoll und natürlich sein, analog allen übrigen Mitteln,
Welche dem Menschen zu Gebote stehen, um seine Ideen Anderen
mitzutheilen !
Ein Redner mag die zierlichsten Redensarten gebrauchen, die
hßrmoniereichsten Worte ertönen lassen, man wird die Verschwen-
dung Seiner Worte tadeln, und nichts als Aifectation darin er-
blicken, Wenn er nicht durch die Wahrheit seiner Schlüsse und
204"