Allgemeine Rathschläge
Portraitmaler.
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das ich ihm empfehlen kann, um den ganzen Ausdruck seines
Modells auf sich allein zu lenken, ist, bei Zeiten alle Kräfte
anzuwenden, um sich während der Arbeit mit der Person, die
man malt, zu unterhalten. Durch Uebung wird man sich in
diesem Punkt Leichtigkeit verschaffen, und wird niemals mit
mehr Erfolg und Feuer arbeiten, als wenn es gelingt, die
Unterhaltung zu wechseln und fortzusetzen. Die ganze Kunst
besteht darin, die Gegenstände des Gesprächs wohl zu wählen
und besonders dasjenige hervorzusuchen, das mit dem Charakter
und dem Geschmack seines Modells übereinstimmt, je nach dessen
Stande, Bange, Alter, Lande und der Art seiner Bildung.
Man versucht ein wenig und berührt verschiedene Gegen-
stände, bis man einen solchen Endet, welcher das Modell hin-
länglich interessirt und es auffordert, selbst davon zu sprechen.
Wenn die Person zu schüchtern, oder noch etwas Schlimmeres
ist, so hilft man sich mit dem Geist eines Dritten, welchem sie
zugethan ist, und bittet den, die Unterhaltung nicht fallen zu
lassen. Diese Gespräche dienen alsdann zu mehrerer Annäherung
und vertrauter Bekanntschaft mit dem Modell, und es entsteht
daraus mehr Zutrauen und weniger Gezwungenheit in den Sitzun-
gen. Allein der grösste Vortheil liegt in dem Ausdruck des Le-
bens, welchen das Modell darbietet, indem es mit uns spricht
und uns ohne Zwang, und fast ohne daran" zu denken, ansieht.
Während der Zeit studirt man das natürliche Spiel seiner Physio-
gnomie und der Muskeln, die man besonders hervortreten lassen
muss; man erinnert sich ihrer von Zeit zu Zeit, um sie mehr
oder weniger hervorzuheben, selbst alsdann, wenn sie in dem
Augenblick, in welchem man diese Parthieen malt, nicht genau
mehr dasselbe Ansehen haben sollten. Wenn man nicht ein wenig
aus dem Gedachtniss malte, so würde man selten dahin kommen,
einem Portrait Leben und Seele zu geben; man würde Gefahr
laufen, bald das eine Auge heiter, das andere traurig, bald
einen Muskel angeschwellt und auf einer Seite des Gesichts ge-
hoben, hingegen den auf der anderen Seite correspondirenden
Muskel schlaff und abgespannt zu machen. Ich behaupte 11101111,
dass man schlechterdings aus dem Gedächtniss malen soll und
ohne die Person vor sich zu haben; allein anstatt zu seinem Modell
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