Wichtige
allgemeine Regel.
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neren Seite gegen die Thräinenwinkel 1), wo die Augenwimpern sel-
tener und nicht so lang als anderwarts sind. Man vergesse nicht,
die Starke der Augenlieder unter den Wimpern und unmittelbar
über dem Weissen im Auge anzudeuten, auch kann man sie sehr
gut gegen die ausseren Winkel der Augen, wenn sie auch be-
schattet sind, bemerken. Man muss die Thranenlaunkte niemals
röther machen, als man sie sieht, sondern man gebe ihnen ein
Violett-Rosa, das sie im Zustande der Gesundheit und des Wohl-
seins haben; auch bemühe man sich, die leichte Feuchtigkeit des
Auges, die eine so angenehme und so wahre Wirkung hervor-
bringt, wiederzugeben.
Man beachte auch, dass das obere Augenlied allezeit eine
mehr violettartige (Lila-Rosa) Farbe, gegen die übrigen Localtöne
hat. Allein man hüte sich, diesen Ton zu übertreiben, indem
man ihn zu feurig macht, denn sonst malt man weinende oder
kranke Augen.
Das Weisse im Auge mache man nicht zu weiss 2), denn die-
ses ist nicht nur wieder die Wahrheit, sondern giebt auch dem
Blick des Auges eine grosse Harte.
Jeden Augenblick beobachte man das Modell, nicht
wie man einen Gegenstand der Naturgeschichte unter-
sucht, wenn man alle Einzelnheiten desselben beschreiben
will, sondern um die Lichtmassen mit den Schattenmas-
sen und jedes Einzelne in Bezug auf das Ganze zu ver-
gleichen. _
Ich kann die Wichtigkeit dieses Grundsatzes nicht
genug empfehlen; es ist das einzige Mittel, eine Arbeit
in ihren verschiedenen Theilenmicht unharmonisch zu
machen, was oft geschieht, wenn man eine Parthie des
Kopfes oder irgend eine andere malt, ohne sie mit den
1) Die Thränenwinkel sind die kleinen Drüsen, aus welchen die "fhrällßll
an den inneren Winkeln der Augen, in der Nähe der Nase, horvorquellen. Bloe
bei alten und kranken Personen sind sie roth und entzündet, sowie auchlbel
11611811, die wirklich weinen oder geweint haben; auch bringt der Zorn diese
Wirkung hervor.
2) Man sehe Seite 204, wo ich mich über die Wirkungen des Weissen im
Auge etwas näher erklärt habe.
Bouvier, Oeliuulerei. 4. Aull, 17