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Achtzehnte Lection.
Uebermalung.
sich dabei anzustrengen, als wolle man einen Strich machen, der
eben so fein als ein Haar sein soll. Es ist auch erlaubt, an
Stellen, worauf wenig Haare sind, einige feine Striche zu machen,
so besonders an den beiden Enden der Augenbraunen, und zwar
am häufigsten an den Extremitäten, wo die Schlafe angrenzen.
Man nehme kein Casseler Braun, um die Augenbraunen zu
malen, sondern begnüge sich mit dem Brann, das man mit dem
Pinsel aus Schwarz, Gelb und rothem Ocker zusammensetzt.
Dies wird dazu braun genug sein, wenigstens läuft man nicht
Gefahr, einen Theil der Fleischfarbe durch Vermischung mit pech-
haltigem Braun zu verderben. Man wird noch immer bei einer
dritten Retouche Zeit haben, die Mitte der stärksten Schattirun-
gen mit einem gemischten Braun zu lasiren, das man nach dem
Ton, der für die Färbung der Augenbraunen passend ist, modi-
ficirt. Allein selten darf man sich erlauben, in der Schattenmasse
der Parthie, wo die meisten Haare sind, einzelne Pinselstriche
anzubringen. Was die blonden oder kastanienbraunen Augen-
braunen betrifft, so befolge man die nämlichen Grundsätze, und
vermeide mit noch mehr Aufmerksamkeit sie zu hart, trocken,
sclavisch und Haar um Haar zugezahlt zu machen. Man studire
gut in Oel gemalte Portraits, um sich von dem, was ich jetzt ge-
sagt, noch besser zu überzeugen; auf einen blossen Kupferstich
allein, besonders auf einen solchen, der mit dem Grabstichel ge-
macht ist, darf man sich nicht verlassen, in einem solchen wird
man auch immer Striche sehen, wodurch man vielleicht gerade
in den Fehler verfallen könnte, vor welchem ich zu warnen ge-
sucht habe.
Was ich bisher gesagt habe, ist eben so gut auf die Augen-
wimpern anwendbar, welche die Augenlieder begrenzen. Man
muss sie niemals einzeln, sondern in Masse andeuten, wie man
sie in Verkürzung sieht und sie sich dem Künstler darstellen, wenn
er nicht das Proül eines Kopfes macht, sondern denselben en face
oder Dreiviertel-Proiil malt. Diese Darstellung der Augenwimpern
muss weich und ohne die geringste Harte gemacht sein, harmo-
nische Halbtöne müssen den Zug der Wimpern begleiten; der
Strich muss nicht überall gleich stark sein, sondern an den bei-
den Enden sich verlieren und verschwinden, besonders an der in-