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Achtzehnte Lection.
Uebermalung.
nicht rathen. Um irgend ein Werk und besonders Fleisch schön
zu malen und mit einem Male zu beendigen, bedarf es eines
sehr grossen Talents, und dennoch lehrt die Erfahrung, dass diese
Art Malereien nicht dauerhaft sind, und die Farben nach Verlauf
einer gewissen Zeit sich verändern. Mit wie viel Freiheit und
Sicherheit auch der Künstler die Farben behandelt haben mag,
was sonst so viel zur Erhaltung des rechten Tons, so wie er
hingesetzt ist, beiträgt, so bleibt es doch wahr, dass, wenn
die Farbenmasse nicht stark genug aufgetragen werden kann,
besonders in den grossen Massen des Lichts, diese von ihrem
Glanze verliert, indem sie mit der Zeit eine Art von. Durch-
sichtigkeit erlangt, welche der Rundung und dem allgemeinen
Eifect schädlich ist. Zweitens verliert man dadurch die Quelle
dieser schönen und geheimnissvollen Töne, die man halb durch-
sichtig über die Töne der Untermalung legt, vorausgesetzt, dass
diese recht trocken sind und sich nicht mehr mit denen ver-
mischen können, mit denen man bei der zweiten Uebermalung
das Bild deckt. Dieser Vortheil ist unschatzbar. Alle grossen
Maler haben dies geschickt benutzt, indem sie eine untere Parthie
dazu gebraucht, um bewunderungswürdige Töne und Effecte her-
vorzubringen, und zwar dadurch, dass sie dieselben an einigen
Stellen sehr leicht überzogen, so dass der leichte Ton, der auf
die ersteren gelegt worden, mehr oder weniger durchscheinend
ist; die Töne, die dadurch entstehen, haben dann eine Feinheit,
welche durch kein anderes Mittel erreicht werden kann.
Zu besserem Verstandniss dessen, was ich eben gesagt habe,
will ich ein Beispiel anführen. Eine Farbe, deren Ton bei der
Untermalung bräunlich-roth angelegt war, kann bläulich werden,
wenn man sie bei der Uebermalung mit einer Localfarbe, in wel-
cher wenig oder gankein Blau ist, leicht übergeht. Auf diese
Art haben geschickte Maler die Adern und die bläulichen Töne
bemerkbar gemacht, die öfters durch eine dünne und zarte Haut
sichtbar sind. In diesem Falle verfahrt der Maler eben so, wie
die Natur, der er dies Geheimniss abgelauscht zu haben scheint;
denn obgleich das Blut, was in unseren Adern fliesst, roth ist,
so erscheint es doch blau, wenn wire es unter der leichten Durch-
sichtigkeit des Zellgewebes sehen, das eine mehr oder weniger