Nachtrag und Nachwort.
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erstenmal im Norden das Aufblühen einer eigentlichen Profan-
kunst hervorrief. Dazu kommen fördernde Verhältnisse äusserer
Art: in den Städten ein durch Handel und Gewerbthätigkeit
reich gewordenes Bürgerthum, das für seine gesteigerten und
verfeinerten Lebensbedürfnisse im Bau und der glänzenden Aus-
stattung prächtiger Wohnhäuser einen Ausdruck suchte, zugleich
kurz vor dem Zusammensturz der alten reichsstädtischen Macht
und Herrlichkeit diese noch einmal in grossartigen Rathhäusern
und anderen öffentlichen Bauten verkörperte. Daneben das mo-
derne Fürstenthum, damals eben zu selbständiger Bedeutung er-
starkt, voll Eifer nicht blos sein höfisches Leben der feiner ge-
wordenen Sitte und einer allgemeineren Bildung anzupassen,
sondern auch den Begriff der modernen Fürstengewalt in staat-
lichen Neugestaltungen, in Recht und Verwaltung, in Kirche und
Schule festzustellen und dies ganze vielseitige Streben durch An-
lage glänzender Schlösser, Lusthäuser und Gärten, aber auch
durch Gebäude für die Verwaltung, für Schule und Kirche zum
kräftigen Ausdruck zu bringen. Im Verlaufe der Entwickelung
schliesst sich dann der Landadel diesen Bestrebungen wetteifernd
an und verwandelt seine mittelalterlichen Burgen in stattlich ge-
schmückte Herrensitze. Rechnen wir dazu die unabsehbare Zahl
von Grabdenkmälern jeglicher Art, welche der religiöse Sinn in
eigenthümlichem Bunde mit der gesteigerten Werthschätzung der
Persönlichkeit überall hervorbringt, endlich die nicht geringe Reihe
von Werken kirchlich dekorativer Kunst, von Kanzeln, Altären,
Lettnern, Sakramentsgehäusen, Orgeln u. dgl., welche immennoch
verlangt und ausgeführt wurden, so haben wir eine Erscheinung
von kaum übertroffener Mannigfaltigkeit. Erst indem W11' diese
Welt von Schöpfungen erkennen und würdigen, bemächtigen wir
uns eines unentbehrlichen Materials für das Verständniss der
grossen Kulturbewegung des 16. Jahrhunderts.
Aber auch die rein ästhetische Seite des Gegenstandes darf
nicht unterschätzt werden. In unsrer schulmässigen Bildung sind
wir gar zu schnell geneigt, nach dem Gesichtspunkt Sogenanrlter
Stilreinheit alle Schöpfungen zu beurtheilen. Wlnmerken nicht
dass es gar oft nur die künstlerische Impotenz 1st, welche 111
solcher formellen äussern Correctheit einen Deckmantel für ihre
Armuth sucht. Correkt sind nun die Werke unsrer deutschen
Renaissance noch weit weniger als die der franlöeieehenä elleh
von Stilreinheit kann kaum die Rede sein; WO der ganze Verlauf
der Entwickelung darin besteht, dass sich die mittelalterliche
Tradition mit der antiken Formenwelt, dass sich d1e heimische
Sitte des Nordens mit der Kunst des Südens in Ausgleich setze.