Kap. XVII.
nordwestlichen Binnenländer.
Die
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Eine ansehnliche Zahl von Profanbauten der Spatrenaissance
giebt von dieser letzten Blüthe bürgerlicher Selbständigkeit Zeug-
niss. Eins der prachtvollsten Werke ist der neben dem Rathhaus
sich erhebende hohe Giebelbau, in den Formen der Spatzeit
kräftig durchgeführt, mit besonders reichem auf Säulen ruhendem
Balkon und phantastisch barock geschweiften) und gekröntem
Giebel (Fig. 249). Namentlich der Balkon ist ein ausgezeich-
netes Werk von grosser Delikatesse der Ausführung. Der Kern
des Baues, der früher als Stadtweinhaus, im unteren Geschoss als
Stadtwaage diente, stammt aus dem Mittelalter und wurde erst
um 1615 mit der prächtigen Facade geschmückt, welche als eins
der glanzendsten Werke der schon stark zum Barockstil gewen-
deten Spätrenaissance zu betrachten ist. Der als "Sentenzbogen"
bezeichnete Vorbau war zur Verkündigung der gerichtlichen Ur-
theilssprüche bestimmt. Ergötzlich klingt eine Urkunde des stad-
tischen Archivs, laut welcher zwei Mitglieder des Steinhauer- Amtes,
weil sie die Architektur des Baues nicht als "opus doricum"
gelten lassen wollten, vom Magistrat wegen solcher Missachtung
seines Baumeisters zu 20 Thlrn. Injurienstrafe verurtheilt wurdeni).
Man hatte also damals schon verschiedene Ansichten über dori-
sehen Stil!
Zu den frühesten Bauten dagegen gehört das Haus am
Prinzipalmarkt No. 17 und 18 mit einem Doppelgiebel vom Jahre
1571. In strenger classizistischer Behandlung wird das Erdge-
schoss von dorischen, der erste Stock von toskanischen, der
zweite von ionisehen Halbsaulen gegliedert. Ein hübscher Erker,
auf eleganten Gonsolen ausgebaut, hat einen antiken Giebel als
Abschluss. Die ganze Behandlung ist einfach, aber edel. Die
Facade in der Seitengasse ist schlicht in Backstein ausgeführt,
nur die Einrahmungen der Fenster und die Gesirnse in SallflStßill-
An einem polygonen Treppenthurm liest man 4.116 Jßllrlälll 1569.
Von ähnlicher Einfachheit ist die grosse Facade Rothenburg No.
167, nur noch sparsamer gegliedert, mit Fortlassung der ver-
tikalen Theilung. Auch hier ein hübscher Erker auf Oonsolen
im Hauptgeschoss, mit Lisenen der Frührenaissance eingefasst.
Dies Motiv des Erkers kommt in späterer Zeit an einem Hause
der Bogenstrasse No. 34 zu einer ebenso reichen als eleganten
Durchbildung im kraftvollsten Stil der Spatzcit. Der obere Theil
der Facade leider nüchtern verzopft.
Die Mehrzahl der Münster-sehen Facaden gehört derselben
Spätzeit, meist schon dem 17. Jahrhundert. Es sind sämmtlich
Tophoff,
in der Wiener Allg.
Aufn.
Bauzeitung
1872.