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III. Buch.
Renaissance in Deutschland.
kennen lernten. Unvergleichlich kraftvoll und mannigfaltig ist
die Dekoration der Schwellbalken und Füllhölzer mit Flechtwerk,
gewundenen Bändern, eingekerbten Rippen und dgl. An den
Fensterbrüstungen spielt das Fächermotiv in grosser Mannigfaltig-
keit die Hauptrolle. Daneben kommen menschliche Figuren,
Genrescenen, phantastische Drachen und Thiere vor, und endlich
sind auch kraftvoll geschnitzte Ranken an Pfosten und Friesen
hinzugefügt. Eine der prächtigsten dieser Facaden in der Breiten
Strasse, bezeichnet 1598, zeigt unter anderm die mehrfach wieder-
kehrende Darstellung eines Mannes mit dem Splitter und eines
andern mit dem Balken im Auge.
Auch das kleine benachbarte Salzuf f eln bewahrt eine Anzahl
von Stein- und Holzbauten desselben prächtigen Stiles. Beson-
ders fein und wiederum von den Bauten zu Lemgo abweichend
ist der Giebel eines steinernen Wohnhauses, der in fünf Stock-
werken durch kleine Rundbogenfenster, eingerahmt von cannelirten
Pilastern, lebendig gegliedert wird. Gleich daneben ein anderer
Giebel von schwereren Formen in stark ausgeprägtem Barockstil.
Vom grössten Werth sind die Holzbauten, auf's Reichste mit
Schnitzwerken im Charakter der Bauten von Lemgo geschmückt,
ja mit Ornamenten aller Art oft förmlich überladen.
Zu dieser Gruppe gehört nun auch Herford, das nicht blos
durch seine allgemein bekannten grossartigen kirchlichen Denk-
male des Mittelalters, sondern auch durch ansehnliche Monumente
der Renaissance Beachtung verdient. An das Rathhaus, einen
geringen mittelalterlichen Bau, legte man im Ausgang der Renais-
sancezeit eine jener beliebten Lauben, im Erdgeschoss als offne
Halle abwechselnd auf Pfeilern und kraftvollen Säulen ruhend,
mit Kreuzgewölben überdeckt, darüber ein erkerartiger Ausbau
von zwei Barockgiebeln bekrönt. Vortretende schlanke Säulchen
gliedern in beiden Stockwerken die Wände. Den Fenstern des
Hauptbaues gab man zugleich eine Dekoration von Giebeln, und
dem Portal, zu welchem eine doppelte Freitreppe empor-führt,
eine Umrahmung in demselben Stil. Leider ist der Bau im Zu-
stand äusserster Verwitterung und Vernachlässigung.
Eine hübsche Anlage derselben Zeit, datirt 1616, ist der
kleine Ziehbrunnen am Markte. Ueber der ovalen Einfassung
steigen zwei Pfeiler mit einem Querbalken für den Zieheimer auf,
von einer hübschen Krönung in barocken Volutenformen ab-
geschlossen. Etwas früher (1600) datirt die grossartige Facade
des Neustädter Kellers, einer der imposantesten Giebelbauten der
Zeit. Ueber zwei hohen unteren Stockwerken, durch dreitheilige
Fenster belebt und mit Rustikapilastern eingefasst, steigt der