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III.
Buch.
Renaissance in Deutschland.
Allgemeiner Theil.
Inzwischen wird die Strömung der Renaissance immer mäch-
tiger, und die Lust am reizenden Spiel ihrer Formenwelt ver-
breitet sieh unter den deutschen Künstlern bald so allgemein,
dass die Gemälde, Kupferstiche und Holzschnitte etwa seit 1520
von Details dieser Art wahrhaft überströmen. Was die sogenann-
ten Kleinmeister, ein Aldegrever, Altdorfer, Pencz, und die beiden
Bclzam für die Ornamentik des Stils geleistet haben, ist all-
bekannt. ,Einig'es darunter gehört ohne Frage zum Schönsten
dieser Art. Daran reihen sich manche Blätter des Holzsghnitts,
und von diesen Will ich nur Einiges aus der durch A. v. Der-schau
veröffentlichten Sammlung hervorheben, weil sie mehrere Ilaupt-
blätter enthält. Eins der grössten Prachtstücke ist das kolossale
Blatt der Verkündigung, bezeichnet mit E. XII, 37 Zoll hoch,
26 Zoll breit. Man hat den Blick in einen schönen Saal, dessen
kassettirte Decke mit durchgebildetem Gebälk auf eleganten kan-
nelirten Säulen ruht: das Ganze in vollendet ausgebildeter Re-
naissance. Auch das Blatt D. 18 giebt ein Bild von. den gross-
artigen architektonischen Phantasien, in denen die damalige Zeit
zu schwelgen liebte: eine mächtige Kuppelkirche mit offener
Vorhalle, die sich zur Rechten noch weiter fortsetzt, dabei ein
Glockenthurm, ebenfalls mit Kuppeldach geschlossen. Auch das
Blatt von Cranaclz, welches Huss und Luther (larstcllt, wie sie
dem Kurfürsten Johann Friedrich und seiner Familie das Abend-
mahl reichen, zeigt auf dem Altar einen Renaissancebrunnen mit
zwei Schalen, über welchem sich ein Crucilixus erhebt, aus dessen
Wunden das Blut in den Springbrunnen fällt. Eine prächtige
Halle mit Tonnengewölben auf korinthischen Säulen, in der Mitte
eine flache Decke mit runder Oeffnung giebt Erhard Scleün
auf dem Blatte, welches die schlechte Gerechtigkeitspllege schil-
dert. Die volle Freiheit einer reich entwickelten Renaissance
entfaltet sodann Alldorfez" in der Oomposition eines prächtigen
Altars, der die beliebte Anordnung eines römischen Triumph-
bogens zeigt. Zum Allerschönsten gehört aber das gewaltige
Abendmahl von Hans Schäußlem, 27 Zoll hoch, 39 Zoll breit.
Man hat den Blick in einen glänzenden Saal mit reich geschmück-
ter Kassettendecke. Rundbogenstellungen theilen den Raum, auf
kurzen korinthisirenden Säulen ruhend, die ihrerseits auf hohe
Pilaster aufsetzen. Auf solchen Blättern ist die deutsche Re-
naissance zu jenem vornehmen Raumgefühl durchgedrungen,
welches ihr im Leben durch die Enge und Niedrigkeit der her-
kömmlichen Räume versagt blieb. Auch Hans Sebald Bekam
giebt bei dem ebenfalls kolossalen Blatte mit der Geschichte des
verlorenen Sohnes die Ansicht eines prächtigen Saales, dessen