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III.
Buch.
Renaissance in Deutschland
Wie Halberstadt ist auch Hildesheim durch doppelte Be-
deutung a.ls uralter Bischofssitz und als Mittelpunkt eines reg-
samen, energisch emporstrebenden bürgerlichen Gemeinwesens
ausgezeichnet. Ja noch weit nachdrücklicher als dort hat sich
hier schon im frühen Mittelalter die kirchliche Macht in gross-
artigen Denkmälern ausgesprochen. Der Dom, die Kirchen von
S. Michael und Godehard, zu welchen noch die kleine auf einem
Hügel vor der Stadt gelegene Moritzkirche sich gesellt, gehören
zu den ansehnlichsten Bauten des romanischen Stiles. Aber im
Schatten der bischöflichen Gewalt blühte ein kraftvolles Bürger-
thum empor, bald in Kämpfen mit den geistlichen Oberherren
seinen Freiheitsdrang bethätigend, durch Handel und Gewerbe
immer unabhängiger, als Mitglied der Hansa geachtet und gefürch-
.tet, endlich beim Eintritt in die neue Zeit durch rasches Hinneigen
zur Reformation sich auch zu kirchlicher Freiheit erhebend.
Von diesem Bürgerthum zeugen in erster Linie die Denk-
mäler, welche unsre Betrachtung aufzusuchen hatß) Es ist vor
Allem der altsächsische Holzbau, der auch hier fast ausschliesslich
den Privatbau beherrscht. Aber er entwickelt sich in ganz
selbständiger Weise. Die mittelalterliche Form kommt nur ver-
einzelt vor; häufiger sind schon die Werke, in welchen die Re-
naissance ihren Einfluss bethätigt; allein die grosse Mehrzahl der
Monumente gehört doch erst der letzten Epoche des Stils, zeigt
eine völlige Umbildung des Holzbaues im Sinn der Steinarchitek-
tur und verbindet damit eine Pracht und Fülle freier iigürlicher
Ornamentik, die den Hildesheimer Bauten ihr hocheigenthümliches
Gepräge giebt.
Um mit den nicht eben zahlreichen Bauten aus der Schluss-
epoche des Mittelalters zu beginnen, so lassen sie die auch anders-
wo beobachteten Grundzüge ziemlich übereinstimmend erkennen:
kräftiges Betonen des constructiven Gerüstes, energisches Hand-
haben einer plastischen Gliederbildung, gelegentliches Herbeiziehen
figürlichen Schmuckes. So ein kleines Haus in der Eckemäker-
strasse, mit hübschen Heiligenstatuetten an, den Balkenköpfen, die
Flächen der Schwellen mit aufgemaltem gothischen Laubwerk.
Aehnlich zwei alterthümliche Häuser bei der Andreaskirche, die
in verwandter Weise behandelt sind.
Aber schon 1529 tritt in diesen Formenkreis des Mittelalters
die Renaissance an demjenigen Gebäude, welches unter allen
Von den Hildesheimer Bauten liegen treifliche grosse Photographieen
von G. Koppmann (Verlag von Gebr. Gerstenberg in H.) vor, nach wel-
chen unsere Abb. gezeichnet sind.