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III. Buch.
Renaissance in Deutschland.
Die
in erster Linie. Ausschliesslicher als in Braunschweig beherrscht
er die bürgerlichen Wohnhäuser, ohne dem Steinbau Eingang zu
gestatten. Deshalb hat er sich auch reiner entwickelt und gerade
in der Epoche der besten Renaissance seine feinste Blüthe entfaltet.
Aus der letzten Epoche des Mittelalters zahlt er auch hier eine
Anzahl charaktervoller Werke, die sich durch besondren Reichthum
an figürlicher Plastik auszeichnen. Der späte Nachsommer der
Renaissance kommt hier nicht mehr zum Ausdruck; dagegen sind
die mittleren Zeiten des Stils durch eine ungemein grosse Zahl
von Bauten vertreten, welche das Gepräge einer geradezu klas-
sischen Anmuth tragen. Die Formen behalten überwiegend den
Charakter einer aus der Oonstruction hervorgegangenen Ornamen-
tik bei; die Balkenköpfe sind durch Auskehlen und Untersehneiden
mannichfach gegliedert, auf den Oberflächen oft elegant geriefelt
in diagonaler oder vertikaler Linienführung, an den Seiten manch-
mal durch Sterne, Rosetten und andre Muster belebt (vgl. Fig. 54
auf S. 197.) Die Schwellhölzer und Füllbalken sind ausgckehlt
und abgefast, meist mit ähnlichen diagonalen Riefelungen plastisch
dekorirt. Unter den Fenstern findet sich entweder das Fächer-
(Muschel)-Ornament, oder es ist in Nachahmung des Steinbaues
eine Blendarkade auf kleinen Pilastern durchgeführt (vgl. oben Fig;
53 und 54) 1). Auf dieser edelsten Stufe der Ausbildung verharrt
der Halberstadter Fachwerkbau, nur im Einzelnen eine Fülle
anmuthiger Flachendekoration hinzufügend.
Was die Gesammtanlage der Häuser betrifft, so sind sie
grösstentheils wie in Braunschweig nicht schmale Hochbauten
mit der Giebelwand nach der Strasse, sondern breite Langbauten,
über denen in der Mitte stets ein Daeherker aufragt, die monotone
Fläche des Satteldaches wirksam durchbrechend, wie Fig. 53 zeigt.
Doch kommen hier seltener jene riesigen Hauserkolosse vor, welche
Braunschweigs bürgerlichen Bauten einen so machtvoll domi-
nirenden Charakter verleihen. Hier ist vielmehr Alles feiner, zier-
licher, anmuthiger auch in den Verhältnissen. Sodann aber wird
der an der Faeade ausgebaute Erker, den man in Braunschweig
vergeblich sucht, öfter angewandt. Auch dadurch ist der malerische
Reiz dieser Bauten gesteigert.
Zu den bedeutendsten mittelalterlichen Werken gehört der
stattliche Bau des Rathskellers am Holzmarkt vom J. 1461. Die
prachtvolle Wirkung beruht hauptsächlich auf den ungemein stark
Ich bemerke hier schon berichtigendi dass obige beide Abbild. der
geschickten Hand des Herrn Architekten E. Grisebach in Hannover zu
verdanken sind.