Kap. XVI.
Niedersachsen.
871
sie nun auch an der Entwicklung der Renaissance ihren Antheil
und bringt eine Reihe von stattlichen Profanwerken des Stils
hervor, die bis hart an den Beginn des dreissigjahrigen Krieges
reichen, der auf lange Zeit die Blüthe der Stadt vernichten sollte.
Gleichwohl können wir hier nicht von besonders frühzeitiger
Aufnahme des neuen Stils sprechen. Die Formen desselben
schleichen sich nur langsam und fast unvermerkt ein, und erst
spät kommt es zu bedeutenderen Schöpfungen. Dies hängt wohl
damit zusammen, dass fast ausschliesslich der Holzbau die Profan-
architektur hier beherrschte, wodurch die mittelalterliche Tradition
sich lange in Kraft erhielt. Man kann schrittweise die Entwicklung
der Formen verfolgen: wie bis ins 16. Jahrhundert die gothische
Behandlung sich ungetrübt geltend macht, dann gewisse Motive
der Renaissance sich einschleichen, bis endlich, durch die Richtung
des neuen Stiles begünstigt, der Steinbau sich einmischt, zuerst
in Verbindung mit dem Holzbau etwa an den Portalen oder dem
Erdgeschoss und dem ersten Stock Platz greift, endlich aber in
einigen vollständigen Facaden sich ausspricht.
Um diesen Prozess im Einzelnen darzulegen, beginnen wir
mit der Betrachtung der früheren noch völlig in mittelalterlichem
Sinn behandelten Bauten. Sie zeigen durchweg noch ein strenges
Anschliessen der Dekoration an die Elemente des constructiven
Gerüstes. Die Sehwellbalken und die Füllhölzer erhalten kräftige
Auskehlung und Abfasung, wodurch die horizontalen Linien der
über einander vorkragenden Stockwerke wirksam betont werden.
Ueberaus beliebt ist die Dekoration mit rechtwinklig gebrochenen
Linien, die man als maanderartig bezeichnen kann. Damit wechselt
aber ein anderes Ornament, das seine Motive dem Pfianzengebiet
entlehnt, aus einer Laubranke bestehend, welche sich um einen
horizontalen Stab windet und die charakteristischen Formen des
bekannten spätgothischen Blattwerks zeigt. Nicht minder reich
werden die Balkenköpfe, welche consolenartig die vorkragenden
Stockwerke stützen, behandelt. Sie erhalten nicht blos kräftig
ausgekehlte Profile, sondern bisweilen in Hochrelief durchgeführte
figürliche Darstellungen, Apostel und andre Heilige, aber auch
Genrehaftes und Burleskes.
Was die Gesammtcomposition der Facaden betrifft, so kommt in
Braunschweig die schmale hochgethürmte Giebelfagade, die z. B. in
Städten wie Lübeck, Bremen, Danzig so gut wie ausschliesslich
herrscht, nur selten vor. Meistentheils sind die Hauser mit der Lang-
seite gegen die Strasse gekehrt, erhalten aber durch einen oder meh-
rere Dacherker mit ihren Giebeln eine nicht minder reiche male-
rische Belebung. Dagegen fehlt der Erker diesen Fagaden durchaus.