Kap. XVI.
Niedersachsen.
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struction zu Schöpfungen von hohem künstlerischen Werthe aus.
Unvergleichlich ist noch jetzt die Wirkung dieser Städte mit ihren
in ganzen Reihen erhaltenen Fachwerkhäusern, deren Facaden
durch die vorgekragten Geschosse mit den reichen Schnitzereien
und den kraftvollen Profilirungen einen so lebensvollen Eindruck
gewähren. Wir können gerade hier die Geschichte dieser acht
deutschen Bauweise verfolgen; wir werden sie aus den mittel-
alterlichen Formgebungen sich stufenweise zu den reizvollen Bil-
dungen der Renaissance entfalten sehen. Braunschweig mit
seinen grossartigen, kraftvoll entwickelten, meist noch strengen
Formen bezeichnet die erste Stufe. Auf die Höhe klassischer
Vollendung hebt sich dieser Stil in den Bauten von Halberstadt.
Zu üppiger Nachblüthe in verschwenderisch angewandter Bild-
schnitzerei, nicht ohne deutliche Spuren eines Einflusses von
Seiten des Steinbaues, bringt es zuletzt Hildesheim!) In zweiter
Linie schliessen sich Städte wie Celle, Wernigerode, Goslar, Stol-
berg und viele andre an.
Gegenüber diesem charaktervollen Holzbau findet die Stein-
architektur hauptsächlich in den Bauten der Fürsten, des Adels
und der Geistlichkeit ihre Anwendung, von da aus dann auch
mancherlei Aufnahme in bürgerlichen Kreisen, wie denn in Braun-
schweig dieses Material sich neben dem des Holzes eindrängt,
und in Hannover sogar die Oberhand gewinnt. Dieser Steinbau
aber gehört fast ausnahmslos der letzten Epoche der Entwickelung
und zeigt in seinen üppigen, aber derben Formen überwiegend
den Einfluss der Niederlande und des norddeutschen Küstenge-
bietes. Nur dass es reiner Hausteinbau ist, welchen die überall
vorhandenen Sandsteinbrüche des Landes begünstigen. So schei-
det sich denn unser Gebiet gegen die nördliche Gruppe der
Backsteinbauten scharf ab. Schon oben (S .753) wurde bemerkt,
dass die Gränze zwischen Lüneburg und Celle hinläuft.
Celle.
Beginnen wir mit den fürstlichen Bauten, so hat Celle den
Anspruch an der Spitze der Betrachtung zu stehen. Das
Schloss gilt gewöhnlich für einen spätgothischen von der Her-
zogin Anna am Ende des 15. Jahrhunderts errichteten Bau, mit
Womit nicht gesagt sein soll, dass nicht in jeder dieser Städte auch
einzelne Beispiele der anderen Entwickelungsstadien sich fänden. Ich
zeichne hier zunächst nur den bis jetzt noch nirgends betonten Ge-
sammtcharakter der Architektur jener Hauptorte.