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Buch.
III.
Renaissance in Deutschland.
nicht so streng in die Ringmauern seiner Stadt geschlossen, wie
der des fünfzehnten und sechszehnten es war. Er kann um so
leichter daher die Beischläge entbehren, zumal da heutzutage an
die Stelle des öffentlich gemeinsamen Lebens, welches ehedem
die Bürger einer Stadt so zu sagen zu einer einzigen Familie
verband, ein zurückgezogenes Wesen getreten ist.
Was an Danzig vorzugsweise fesselt, sind nicht sowohl die
kirchlichen Denkmäler, obschon auch deren einige beachtens-
werthe sich linden, sondern die bauliche Gesammtanlage der Stadt,
und die Art, wie städtische Macht und bürgerlicher Reichthum
sich hier architektonisch verkörpert haben. Leicht erkennt man
aus dem Complex verschiedener jüngerer Zusätze die Bestand-
theile der eigentlichen alten Stadt heraus. Sie schliesst sich an
die Mottlau, welche die natürliche Grenze nach Osten bildete,
während nördlich die in jene sich ergiessende Radaune den Ab-
schluss gab. Hier liegt die Altstadt, hier die alte Rechtstadt mit
ihrem Rathhause, dem Artushof und den meisten Kirchen. Noch
ist die alte Stadtmauer mit zahlreichen malerischen mittelalter-
liehen Thoren an der Mottlau entlang erhalten, eine Stadt in der
Stadt umzirkend. Denn zunächst schliesst sich die durch einen
anderen Arm des Flusses begränzte Speicherinsel an, die mit
ihren langen Reihen hoher backsteinerner Speicher einen nicht
minder eigenthümlichen Charakter bildet. Dann erst folgen die
neuen, für uns uninteressanten Stadttheile, Langgarten und
Niederstadt.
In den älteren Stadttheilen laufen alle Hauptstrassen so
ziemlich von Osten nach Westen bis zum Fluss hinab. Unter
ihnen dominirt durch stattliche breite Anlage und hervorragende
Bauwerke die Lange Gasse, die sich am Rathhause plötzlich
zum Langen Markt erweitert. Sie beginnt landwärts "mit dem
Hohen Thor und öffnet sich gegen das Wasser mit dem Grünen
Thor. Der Blick von letzterem gegen das Rathhaus hin, das mit
seinen gewaltigen Mauermassen wie eine trotzige Wehr vor-
springt und den Markt abschliesst, gehört zu den schönsten
städtischen Architekturprospekten die ich kenne. Die hohen,
reich verzierten Giebelhauser, die bei den sanft geschlängelten
Windungen der Strasse dem Auge das Bild mannichfacher Ver-
schiebungen darbieten, vollenden das wirksam Charakteristische
der Strassenphysiognomie. Merkwürdig ist, dass manche Haupt-
strassen noch eine parallel mit ihnen laufende Hintergasse haben,
welche den Wagen zum Anfahren diente. Diese Einrichtung
wurde durch die ganze Anlage der Häuser herbeigeführt. Da
nämlich die ganze Vorderseite des Hauses durch den Beischlag