Kap
Anfänge deutscher Renaissance bei Malern und Bildhauern.
49
Um so auffallender daher, dass zweimal, und zwar in freier
künstlerischer Erfindung, der Spitzbogen dennoch angewendet
ist: das eine mal auf Blatt 7 an der Pfoite des Paradieses, und
zwar mit allen Ausschweifungen der späten Zeit, das andere
mal bei der idealen Restauration des Salomonischen Tempels
auf Blatt 6GB. Dass in der Darstellung der Städte, mögen sie
nun antik oder modern sein, mögen sie Deutschland oder Italien,
Grrieehenland oder dem Orient angehören, die herkömmlichen
Formen des Mittelalters hauptsächlich zur Verwendung (kommen,
kann uns nicht Wunder nehmen, denn es geschieht in demselben
naiven Sinne, der das ganze 15. Jahrhundert hindurch fin Italien
wie im Norden die Kunst beherrscht und keinen Anachronismus
darin empfindet, antike Götter und Helden oder biblische Ge-
stalten in die Kleider der eigenen Zeit zu stecken. Daneben
aber macht sich durchgängig auch ein Einfluss der italienischen
Renaissance geltend, vor allem in den überaus zahlreichen Central-
und Kuppelbauten, sowie in den kuppelartigen Abschlüssen der
Thürme.
In anderer Hinsieht aber tritt die mittelalterliche Anschau-
ungmit ihrer Gleichgültigkeit gegen das Reale, ihrem Hange zu
qwhantastiseher Willkür ganz unvermittelt in behaglicher Breite
hervor. Wenn Ninive, Damaskus, Babylon, Athen, Nißäß Sißll
ganz wie deutsche Städte des Mittelalters darstellen, S0 Wundern
wir uns darüber nicht; wenn aber Ninive genau so ausSiellt Wiß
Korinth, Damaskus genau so wie Neapel, Perugia, Verona, Siena,
Mantua, Ferrara; wenn ferner Nicaa in nichts zu unterscheiden
ist von Padua, Marseille, Metz und 'llrier; wenn Troja zum Ver-
wechseln gleich ist mit Tibur, Ravenna, Pisa, Toulouse u. s. w.,
so heisst dies allerdings der Phantasie etwas zumuthen. In der
That ist es so: einige Holzstöeke haben sich gefallen lassen
müssen wiederholt abgedruckt und mit verschiedenen Städte-
namen versehen zu werden. l) Am wunderlichsten dabei, dass
dies Verfahren selbst auf benachbarte deutsche Städte angewendet
avird; am naivsten vielleicht bei Magdeburg (Bl. 180), dessen
eine Hälfte einfach die Wiederholung des Holzstockes ist, welcher
auf Bl- 39 Paris vorstellt, wozu aber noch ein Holzstock gefügt
1) Dies naive Verfahren lässt sich noch bis tief ins 16. Jahrh. verf0lgen_
Stumpffß Schweizer Chronik (Zürich 154a in s Bfln. m) eines der
vorzüglichsten Holzsehnittwerke der Zeit ,verwendet für die läelagerunr
zu Florenz (I. 131- 74) und von Neapel Bl. S2) denselben Holzstocl?
ebenso für Rom (1- 116), Dßmiette (I. 247), Tournay (I. 1ss). Dagegen e;
freuen sich wenigstens die Städte der Schweiz einer charakteristischen im
Ganzen richtigen Darstellung. '
Kuglcr, Gesell. d. Baukunst. V. 4