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III.
in Deutschland.
Renaissance
Die
Buch
dem grossen lastenden Dach, das die drei gleich hohen Schiffe,
offenbar nach dem Vorbilde von Sanct Stephan in Wien, bedeckt,
noch mehr aber in der durchbrochenen Spitze ihres Glocken-
thurmes die deutsche Tendenz; ebenso ist der polygone Chor
mit dem Umgang ein nordischer Gedanke. Aber die isolirte
Stellung des Thurmes, die breite Form jenes Umganges, dem-
jenigen am Dom zu Mailand .nicht unähnlich, noch mehr das
Hauptportal mit dem Vorbau auf marmornen Löwen, im Innern
ferner die weite quadratische Stellung der Pfeiler und die dem
Romanischen verwandte Bildung der Stützen sowie der Gewölb-
gurte, das Alles sind Umgestaltungen in italienischem Sinn.
Kein Wunder, dass hier die ausgebildete Renaissance sehr zeitig,
und zwar in der Form venezianischer Kunst auftritt. Dies ge-
schieht an dem schönen Marmorepitaph des Ambrosius Wirsung
vom Jahre 1513, welches man aussen an der Nordseite der Kirche
sieht. Der knieende Verstorbene, der durch die Madonna dem
mit Dornenkrone und Ruthe dastehenden Erlöser empfohlen wird,
darüber im Bogenfelde der segnende Gottvater, ist nach Com-
position und Formgebung ein in Stein übersetzter Giovanni
Bellini. Ist hier ohne Zweifel die Hand eines italienischen
Meisters zu erkennen, so zeugen dagegen die Flachreliefs der
Thürflügel des Hauptportals vom Jahre 1521 in ihren schweren
ungeschickten Formen wahrscheinlich die Hand eines deutschen
Bildschnitzers, der in Italien die Renaissance kennen gelernt hatte.
Der Privatbau der Stadt bietet nichts künstlerisch Hervor-
ragendes; aber die Anlage der Häuser ist im Allgemeinen be-
achtenswerth, weil man demselben Compromiss zwischen nor-
discher und südlicher Sitte begegnet. Die häufig angebrachten
polygonen Erker, einfach oder doppelt die Facade belebend oder
an den Ecken hervortretend, zeugen von deutscher Gewohnheit;
wie aber das Klima in dem eng umschlossenen Bergkessel schon
südlich ist, so gehören die schmalen Strassen, die Arkadenreihen,
die überhängenden Dächer italienischem Brauche an. Vorzüglich
charakteristisch sind die engen völlig gewölbten Flure und die
schmalen Lichthöfe, in welchen die steinerne Treppe angelegt
ist." In den stattlicheren Häusern bilden sich diese Lichthöfe zu
grossen reich erleuchteten Hallen aus, an deren Umfassung-s-
wänden die steinernen Treppen freitragend emporgeführt sind.
Nach aussen markiren sich diese Mittelpunkte der Hausanlage
durch hohe Dachhauben, die das unmittelbare Aufprallen der
Sonne aufhalten und doch durch grosse Seitenfenster Licht und
Luft zur Genüge einlassen. Eins der stattlichsten Beispiele bietet
der Gasthof zur Kaiserkrone. Die Anlage ist in der That aus