Kapitel.
Anfänge
der Renaissance
bei
und
Malern
Bildhauern.
Wenn es irgendwo klar wird, dass das Mittelalter sich voll-
ständig überlebt hattc, so ist dies bei der Betrachtung der künst-
lerischen Schöpfungen dieser Epoche der Fall. In dem Kampfe
des neuen Stiles mit den Formen der mittelalterlichen Kunst er-
kennen wir den Kampf zweier entgegengesetzter Weltanschauun-
gen. Das Mittelalter hatte den Gipfel seines Schaffens in der
kirchlichen Baukunst, und diese den ihrigen im gothischen Stil
gefunden. Dieser war in hervorragendem Sinne auf den Kirchen-
bau berechnet, musste deshalb einer Zeit, die aussehliesslich
kirchlich gesinnt war, zum höchsten Ausdruck ihres Wollens und
Könnens gereichen. Wenn ein so tiefer Kenner des Mittelalters
wie Schnaasei) vom gotliischen Stil sagt, dass er gleich Anfangs
für weltliche Zwecke nicht wohl geeignet war, so haben wir
dies einfach zu unterschreiben. Wohl hat das Mittelalter seine
Rathhauser und Gildenhallen, seine Schlösser und Burgen, sowie
die städtischen Wohngebäude charaktervoll in diesem Stile aus-
geprägt; aber eine zu starke Färbung kirchlicher Kunst verbindet
sich damit, als dass sie den Ausdruck weltlichen Behagens rein
gewähren könnten. Schon seit dem 14ten Jahrhundert, wo das
Bürgerthum mächtig aufblüht, die Städte in Reichthum und Bil-
dung wachsen, die Lebenslust sich überall kräftig regt, beginnt
der Verfall des gothischen Stiles als ein nothwendiger Reflex
dieser Bewegung. Er hatte seine Rolle ausgespielt; eine andere
Zeit mit neuen Gedanken verlangte neue Formen. Wie diese
zuerst in Italien durch das Studium der antiken Denkmäler schon
seit dem 14. Jahrhundert vorbereitet wurden, bis sie um 1420
zum Durchbruch kamen, ist bekannt.
Während diese Umgestaltung sich im Süden vollzog, brach
der Norden nicht minder entschieden, wenn auch in anderer
Richtung, mit den Traditionen des Mittelalters. Hubert Van Eyek
gehört sicherlich zu den grössten Bahnbrechern und Pfadfindern
der Kunstgeschichte, denn seine neue Art, die Natur streng Izu
studiren und die menschliche Gestalt mit ihrer landschaftlichen
1) Zeitschrift für bild.
der franz. Ren.
Kunst IV. 304, in
der Besprechung meiner Gesch.