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III.
Buch.
in Deutschland.
Renaissance
Charakter derselben, abgesehen von einzelnen italienischen Werken
der Frühzeit, Weit mehr Selbständigkeit und mancherlei Ueber-
einstimmung mit der deutschen Architektur verräth. Alles dies
haben wir nun durch gesonderte Betrachtung der verschiedenen
Länder näher zu erörtern. 1)
Erzherzogtlnnn
Oesterreich.
Die Dürftigkeit einer so mächtigen Stadt wie Wien an
Denkmälern der Renaissance wird immer von Neuem das Stau-
nen des Forschers erregen. Haben wir es doch mit einer Stadt
zu thun, die schon im Mittelalter sich einer glänzenden Blüthe
rühmen konnte. Freilich lag der Grund zum Gedeihen Wiens
Weit weniger in selbständiger Pflege von Kunst und Gewerbe
als vielmehr in dem lebhaften Durchzugs- und Zwischenhandel,
den die günstige Lage der Stadt mit sich brachte. 2) An den
Grenzen deutschen Landes gelegen, wurde Wien der wichtigste
Platz des Austausches zwischen dem Westen und dem Osten und
zugleich. durch seine Verbindungen mit Italien ein Stapelplatz
für den Handel mit dem Süden und der Levante. Welchen Beich-
thum die Stadt im 15. Jahrhundert erlangt hatte, erkennen wir
noch aus den lebendigen Schilderungen des Aeneas Sylviusß)
Er rühmt nicht blos die glänzenden Kirchen, sondern auch die
stattlichen Bürgerhäiuser mit ihrcn reich gemalten Fagaden, den
weiten Höfen, dem prächtigen Hausrath. Besonders fallen ihm
als Zeichen des Luxus die Glasscheiben der Fenster und die
schönen Eisenbeschläge der Thüren auf. Von alledem ist kaum
noch eine Spur vorhanden. Und doch hat schon im früheren
Mittelalter die Stadt eine selbständige künstlerische Entwicklung
erlebt. Die ältesten Theile von St. Stephan, der Kern der Mi-
chaelskirche zeugen, wenn auch nicht von g-rossartiger, so doch
von feiner Ausbildung des romanischen Stiles. In der gothischen
Epoche kamen dazu reichlichere Werke des Kirchenbaues, aber
erst mit dem Stephansdom erhob sich die Baukunst hier zu einer
der grossen Meisterschöpfungen der Zeit.
1) Werthvolle Beiträge in Aufnahmen und Notizen verdanke ich den
Herren Prof. H. Ferstel und Dombaumeister Schmidt, Dr. Karl Lind,
Dr. Albert I1 g und Architekt Riewel. Eine genauere Durehforschung des
weitgestreckten Gebietes wird mit erschöpfondem Erfolg nur von lokalen
Forschern zu erwarten sein. 2) v. Hormayr, a. a. O. IV, 120. 3) Aen.
Sylv. opera (Basil. 1571.) Epist. OLXV p. 718 sq.