Kali
XII.
Die
österreichischen Länder.
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Diese Verhältnisse erkennt man schon in den mittelalterlichen
Monumentcn des Landes. Mit grosser Kraft wird gegen Ausgang
der romanischen Epoche dieser Stil im Wesentlichen so wie er
in den mittleren und südlichen Gegenden Deutschlands sich aus-
gebildet hatte herüber genommen und bis nach Ungarn und
Siebenbürgen hinein in glänzenden Denkmalen zur AnWßndllllg
gebracht. Allerdings wird weder in den räumlichen Combi-
nationen, noch in der Gliederung und Gruppirung des Aufbaues,
noch endlich in den constructivcn Grundzügen Neues hervor-
gebracht. In all diesen Punkten empfängt Oesterreich einfach
das fertig Ausgeprägte, um es Weiteren Kreisen zu überliefern.
Wohl aber bringt jene hier im Volksgeist liegende Freude am
heiter Schönen eine Reihe von dekorativen Werken ersten Ranges
hervor, wie die Portale zu St. Jak, "Frebitsch und Tischnowitz,
die Riesenpforte von St. Stephan zu Wien, die herrlichen Kreuz-
gänge von Zwetl, Lilienfeld, Heiligenkreuz. Daneben aber dringt
von Süden schon damals vielfach die Kunst Italiens ein, wie
besonders die Löwenportale von Bozen, Graz, Salzburg, die
hundertsäulige Krypta von Gurk u. A. beweisen. Dies reiche
Kulturleben hätte in der gothischen Epoche seine höchste Blüthe
erreichen müssen, wenn die Entwicklung des Bürgerthums, bei
uns der mächtigste Träger der Gothik, mit derjenigen im übrigen
Deutschland gleichen Schritt gehalten hatte. Aber ähnlich wie
wir es in Baiern fanden bleibt auch in Oestcrreich die Entfaltung
des Städtewesens seit dem 14. Jahrhundert merklich zurück. Nur
in Böhmen erlebt die Gothik unter dem kunstliebenden Karl lV
eine bedeutende Blüthe, und nur der Stephansdom in Wien,
dieser freilich mit seinem unvergleichlichen Thurm ein Monument
allerersten Ranges, bezeugt auch hier die grossartigc Lebenskraft
deutschen Bürgerthums. Aber dies sind Ausnahmen; im Uebrigen
hat die Gothik trotz mancher originellen Schöpfung im ganzen
Lande keine Denkmale höchster Bedeutung aufzuweisen.
, Neben dieser immerhin durch Intensität hervorragenden
Glanzepoche des Mittelalters hat die Monumentalkunst in Oester-
reich sich nur noch in einer zweiten grossen Periode machtvoll
offenbart: in der Zeit des späten Barockstils, vom Ausgang des
17. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Nachdem die Re-
formation niedergeworfen, ja mit Stumpf und Stiel ausgerottet
war, gab der Klerus in Oesterreich sich jener üppigen Weltlust
hin, welche sich noch jetzt in den gewaltigen Anlagen prunk-
voller Abteien herausfordernd manifestirt; mit dem Prälaten-
hochmuth aber wetteifert der Stolz der Aristokratie in Aus-
führung jener Paläste, die vor Allem Wien und Prag ihre archi-