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III.
Buch.
Renaissance in Deutschland.
schiedenheit die zur reifen Entwicklung gelangte deutsche Re-
naissance zur Geltung kommt. Aber er ist, wie gesagt, ein
Weisser Rabe, der die allgemeine Thatsache nicht umstossen kann,
dass die deutsche Renaissance mit dem übrigen Kulturleben, na-
mentlich mit der Entwicklung der Reformation innig zusammen-
hängt. Auch in Norddeutschland werden wir dasselbe Verhältniss
erkennen.
In den österreichischen Ländern, von denen wir nur die
cisleithanischen in unsere Betrachtung aufnehmen, treten uns
Wieder ganz andere hocheigenthümliche Kulturbedingungen ent-
gegen, die eine ganz besondere Stellung zur Renaissance im
Gefolge haben. Die Länder der deutschen Ostmark, mit-allen
Reizen und Reichthümern der Natur gesegnet, markiren sich in
jeder Hinsicht als Grenzläinder, als Vorposten deutscher Kultur
gegen den slaVisch-magyarischen Osten, als Vermittler der hoch
entwickelten (Zivilisation Italiens gegen Süden. Die deutschen
Stämme Oesterreichs, in körperlichen und geistigen Anlagen
keinem der übrigen Stämme nachstehend, empfingen durch die
eigenthümlichen Bedingungen ihrer geographischen Lage eine
Steigerung ihrer natürlichen Begabung, die sich besonders als
rege Phantasie und elastischer Lebenssinn zu erkennen giebt.
Wie diese Naturanlage sich auf künstlerischem Gebiet vornehm-
lich ins Reich der Musik ergossen und von Haydn und Mozart
bis Schubert eine Welt der köstlichsten 'l'ongebilde geschaffen
hat, weiss Jedermann. Aber auch eine freudige Lust an der
Welt bewegter Erscheinungen, am Reiz anmuthiger Formen ist
die unmittelbare Folge jener Verhältnisse. In fortwahrender Be-
rührung mit mannigfach verschiedenen Stämmen, mit slavischen,
magyarischen und romanischen, erhielt das germanische Volks-
thum hier mancherlei Mischung mit fremdem Blute, nicht stark
genug, um die eigene Art auszulöschen, aber hinreichend um
einen rascheren Pulsschlag zu erzeugen und bis in unsere Tage
den Deutsch-Oesterreichern den Hauch einer jugendlichen Frische
zu verleihen. Zugleich ergab sich aus der geographischen Lage
die doppelte Thatigkeit des Gebens und Empfangens, des Zurück-
weisens und Entgegenkommens. Nach Osten Bevölkerungen einer
niedrigeren Kulturstufe gegenüber, wurden sie die Träger und
Verbreiter europäischer Gesittung, deutscher Bildung, deren Pal-
ladium sie oft genug in heissen Kämpfen gegen die Horden des
Orients zu vertheidigen hatten. Nach Süden dagegen, der alt-
begründeten Kultur Italiens gegenüber, waren Sie in erster
Linie berufen dieselbe in sich aufzunehmen und Weiter zu
irerbreiten.