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III.
Buch.
Renaissance in Deutschland.
Fürstliche und städtische Bauthätigkeit, wenngleich beide
nicht von hervorragender Bedeutung,'begegnet uns in Darm-
stadt. Zunächst ist das durch einen nüchternen Neubau des vori-
gen Jahrhunderts stark beeinträchtigte grossherzogliche Schloss
in seinen älteren Theilen nicht ohne Interesse. Tritt man in den
vorderen Schlosshof, so erkennt man sofort, dass der östliche
Flügel ein für sich bestehender Bau aus der Spätzeit des 17. Jahr-
hunderts ist. Seine hohen Giebel sind stark geschweift und mit
schraubenförmig vorspringenden Voluten versehen." Die Fenster
in den drei Geschossen haben schlichte Behandlung und sind
durch einen steinernen Pfosten getheilt. Vor die Mitte des Flü-
gels legt sich ein viereckiger Treppenthurm mit Galerie und
achteckigem Aufsatz, der ein Glockenspiel trägt. Zu beiden Sei-
ten des Thurmes ist ein Vorbau angefügt, der mit einer Altane
für's erste Stockwerk abschliesst. Ein grosses Bogenportal, da-
neben zwei kleinere ähnliche, führen hier in das Treppenhaus.
Die reiche Bekrönung mit zwei von Löwen gehaltenen Wappen
gibt dem sonst nüchternen Bau etwas Charaktervolles. Die An-
lage des Treppenhauses ist originell. Das Mittelportal führt auf
einen breiten stattlichen Flur mit Tonnengewölben, und dieser
zu Räumen, welche jetzt als Küche dienen. Die beiden Seiten-
portale münden dagegen auf Treppen, welche sich um den mitt-
leren Raum entwickeln, in rechtwinkliger Wendung zweimal um-
biegen und dann in der Mitte aufwärts führen. Aussen am Portal
liest man die Inschrift: "Ludovieus VI D. G. Hassiae Landgravius
prineeps Hersfeldi". Dazu als Zeichen der religiösen Gesinnung
der Zeit ein paar Bibelsprüche. Dieser Theil hängt sodann durch
einen niedrigen Verbindungsbau mit dem nördlichen Flügel zu-
sammen, der trotz höherer Stockwerke und schlankerer Fenster
nicht minder nüchtern ist als jener. Aber am westlichen Ende
desselben ist_ ein überaus elegantes Portal angebracht, mit dori-
schen Säulen, am unteren Theil des Schaftes Masken und Frucht-
gewinde, am Postament prächtig behandelte phantastische löwen-
artige Köpfe, die Portalpfeiler in Rustika, ebenso der Schlussstein
des Bogens, dieser selbst aber mit Zahnschnitt und Eierstab fein
gegliedert, die Zwickel und der Fries mit dem charakteristischen
Ornament der spätesten Renaissance bedeckt. Die ganze Behand-
lung, reich und wirkungsvoll, entspricht den Portalen im Römerhof
in Frankfurt so sehr, dass man auf denselben Meister schliessen
möchte. Später als diese Arbeiten ist endlich das Portal am
westlichen Flügel, ganz in derber Rustika, nur am niedrigen
Stylobat der Pilaster phantastische Ungeheuer-köpfe; am Schluss-
stein, den ganzen Fries mit umfassend, ein Prachtstück dieser