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III. Buch.
Renaissance in Deutschland.
katholischen Gottesdienst verwendet. Nach den starken Brand-
schatzungen erholte Heilbronn sich nur langsam, und erst die
letzten Dezennien des 16. Jahrhunderts bezeugen durch mehrere
stattliche Bauten eine neue Blüthe. Dieser Zeit gehört das Meiste
an, was in Heilbronn von Bauten der Epoche nachzuweisen ist.
Vor allem das Rathhaus, ein charaktervoller und zugleich
malerischer Bau in den kräftigen Formen der entwickelten Re-
naissance. Nach einem Brande des Jahres 1535 begann man
den Neubau in Formen, welche zum Theil noch der Gothik an-
gehören. Es ist ein breiter, zweistöckiger Bau mit hohem abge-
walmten Dache, über welchem sich ein Glockenthürmchen mit
Kuppeldach erhebt. Die Fenster sind in beiden Geschossen recht-
winklig, mit gothischem Kehlenproiil und steinernem Pfosten.
Auf kurzen ionischen Säulen ist in der ganzen Breite der Facade
eine gewölbte Vorhalle dem niedrigen Erdgeschoss vorgelegt. Sie
trägt eine mit reicher Balustrade in ausgebildeten Renaissance-
formen eingefasste Galerie, zu welcher eine doppelte Freitreppe
empor führt. An der Brüstung der Vorhalle sind die vier Kardinal-
tugenden und anderes Figürliche angebracht. Ueber dem mittle-
ren Fenster des Hauptgeschosses sieht man den bärtigen Kopf
des Baumeisters, eine tüchtige Figur. Von dem Podest der Frei-
treppe tritt man durch zwei einfache Portale in das Haupt-
geschoss. In der Vorhalle ist eine kolossale steinerne Bank aus
einem einzigen Sandsteinblock angebracht und eine ähnliche
Bank von 24 Fuss nimmt die ganze Länge des oberen Treppen-
podestes ein. Auf den Ecken der Brüstung stehen zwei Ritter-
figuren unter schlanken gothischen Baldachinen mit hohen Fialen,
welche wahrscheinlich von einem früheren Bau herrühren. Auch
das Wappen der Stadt mit dem Reichsadler, am oberen Geschoss,
zeigt gothische Einfassung. Dagegen ist das bemalte und vergol-
dete doppelte Zifferblatt für die Uhr in der Mitte der Facade
in einen prächtigen Renaissancerahmen eingefasst, der mit seinem
reichen Aufbau und lustiger Giebelkrönung sich als selbständiger
Erker mit kleinem Giebeldach aus dem hohen Walmdach vor-baut.
Dieser ganze Aufbau gehört gleich der Freitreppe und der Vor-
halle offenbar erst der späteren Zeit des Jahrhunderts. 1)
Im Innern besteht das Erdgeschoss aus einem grossen Ge-
wölbe, welches als Waarenlager dient und die Stadtwaage ent-
hält. Im Hauptgeschoss ist wie in allen Rathhäusern der Zeit
ein geräumiger Vorsaal angeordnet, dessen Balkßlldeßkß Von
mächtigen achteckigen Holzpfeilern gestützt wird. Im ersten Stock
Ü Abbild.
in Dollingefs Reiseskizzen.