Kap. IX.
Schwaben.
Fürstliche Bauten.
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erhaltene Decoration künstlerisch belebt. Im Erdgeschoss grosse
Arkadenöffnungen, ebenfalls in Holzconstruction, mit Laden ver-
schlossen, offenbar zu Kaufhallen bestimmt; die oberen beiden
Geschosse stark überragend, von vielen Fenstern durchbrochen,
im ersten Stockwerk ein Balkon von Holz mit einfach rohem
Schieferdach. Alle oberen Theile verputzt und grau in grau ge-
malt, über den Fenstern gebrochene Giebel in barocken Formen,
dazu reiche Laubguirlanden, Figürlichcs, Fruchtschnüre und derb
vorgekröpfte Gesimse in dem flotten Charakter der späten Renais-
sance. Ueber der Mitte der Facade erhebt sich aus dem unge-
heuren Dach ein Giebel mit sehr barock geschweiften Voluten.
Weiter oberhalb ein hölzernes Thürmchen mit hübsch durch-
brochener eiserner Bekrönung als Gehäuse für die Schlagglocke
der Uhr, deren Zifferblatt darunter angebracht ist. Dabei die
Jahrzahlen 1508, renovirt 1698 und 1848. Der Kern des Baues
mag in der That aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts datiren,
dafür spricht auch der Stil der kleinen nackten, in Holz 'ge-
schnitzten Figur einer Eva, welche an der Ecke als Console des
ersten Stockwerks dient. Aber der Anfang des Baues datirt von
14351) und die malerische Decoration gehört dem Ende des
16. Jahrhunderts an. Wie reich dieselbe war, erkennt man auch
im Innern. Der Flur des Hauptgeschosses zeigt viele Reste grau
in grau gemalter Wandbilder. Namentlich über der Thüre links
die Gerechtigkeit mit dem Spruch: „die Gerechtigkeit bin ich ge-
nannt, dem Reich und Armen gleich bekannt, die Augen mir
verbunden sein, dass Reich und Arm hab gleichen Schein." Da-
bei die Jahrzahl 1596, die lwir auch für die Facadenmalereien
in Anspruch nehmen dürfen. In einem Zimmer des ersten Stocks
sieht man eine gut gemalte Glasscheibe von 1556 mit dem Stadt-
wappen, daneben eine jüngere mit demselben Gegenstande. Der
grosse Saal liegt im zweiten Stockwerk, hat aber von seiner
alten Ausstattung nichts bewahrt als einige bemalte Scheiben,
unter welchen die treiflichste den Namen und das Wappen Her-
zog Ludwig's mit der Jahrzahl 1572 trägt. Dass man auch später
noch für die künstlerische Ausstattung bedacht war, beweist im
Flur des Hauptgeschosses ein Wandgemälde von 1760.
Von den fürstlichen Schlössern gehört weiter hierher das
Schloss zu Urach, das freilich nur durch seinen goldenen Saal
Anspruch auf künstlerische Bedeutung erhebt, im Uebrigen ein
kunstlos roher Fachwerkbau ist. Die Anlage desselben scheint
theilweise noch von Graf Ludwig I, der 1443 das Schloss er-
des
Beschr.
Oberamts
Tübingen.
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