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Die
däutschen Geistes.
Renaissance dds
verbreiten den Geist derAlten an Tausende. Bis in's fernste
Alpenthal dringt die Kunde von der neuen Wissenschaft und treibt
den armen Hirtenbuben Thomas Platter in die unbekannte Ferne
hinaus, um auf mühseliger Wanderschaft durch Deutschland als.
arg geplag-ter fahrender Schüler sich die Kenntniss der Alten zu
erwerben. Nicht ohne Rührung liest man in seiner Lebens-
beschreibung, wie er mit seinem Bakchanten durch Schwaben,
Franken und Thüringen bis nach Breslau und nach Polen hinein
ndßll Schulen nachzieht", wie er Hunger und Frost, Krankheit
und Elend erduldet und dabei noch für den übermüthigen Bak-
chanten betteln, gelegentlich mit Lebensgefahr wohl auch eine
Gans stehlen muss. Immer halt ihn der Trieb zum Lernen auf-
recht. Und später in Basel, wie er sich zu einem Seiler verdingt,
um kümmerlich sein Leben zu fristen, dabei aber die losen Blätter
eines ihm geschenkten Plautus beim Seildrehen in den Werg steckt,
um während der Arbeit zu lesen, nicht ohne Besorgniss vor übler
Behandlung seitens des Lehrherrnß) Kaum minder mühevoll war
die Jugend des trefflichen Konrad Pellicanus, der sogar das
Hebräische ohne alle Anleitung aus einem Codex der Propheten
erlernte, welchen, um den Schwachliehen zu- schonen, sein Freund
Paulus Scriptoris ihm auf den Schultern von Mainz nach Tübingen
getragen hatte. Und wie glücklich ist er, in Ulm eine hebräische
Grammatik im Besitz eines Bekannten zu finden, welche dieser
ihm abzuschreiben gestattet?)
So schwer diese Kenntnisse errungen wurden, so viel harte
Arbeit, Entbehrung und Entsagung an ihren Besitz gesetzt werden
musste, so ernst war nun die Anwendung des Errungenen. Der
tiefe Drang nach Wahrheit, der einen Grundzug der deutschen
Volksseele bildet, trieb vor Allem dazu, die überlieferten Glaubens-
lehren zu prüfen; die moralische Versunkenheit des Klerus, die
groben Missbräuche der Kirche, der kurzsichtige Starrsinn Roms
gaben den Ausschlag, und die Bewegung, aus der sittlichen Tiefe
des deutschen Gemüthcs hervorgegangen, gewann eine Macht,
welcher Nichts widerstehen zu können schien. Das religiöse Ge-
fühl erhielt jene Vertiefung, welche schon im 14. Jahrhundert
von den Gottesfreunden am Rhein angestrebt wordenwar; der
Gedanke vollzog seine Befreiung, und erst auf diesem Boden er-
Wuchs eine Wissenschaft, welche in Wahrheit diesen Namen ver-
diente. Die Theologie hat bald die Gesehichtsforschung zur Folge;
Thomas Platter und Felix Platter, herausgegeben von A. Fechter
(Basel 1840) S. 14 ff. 53 fg. 9) Pellicanus Chronik, vgl. Neujahrsbl. der
Züricher Stadtbibl. 1871. S. 5.'